vielleicht: ES WAR EINMAL EIN BAUM
23. MAI 2010
er imponierte mir, weil er sich so viele verschiedene ausbuchtungen und muster hat einfallen lassen. ich war dabei, die URWALDWESEN für mein buch DIE DUNKLE SCHÖNE UND IHRE URWALDWESEN zu sammeln. vielleicht wusste ich zu der zeit noch nicht einmal, dass ich sie – diese wesen – für mein buch sammeln würde.
bei diesem baum staunte ich nur über die vielfältigkeit seiner einfälle, nicht einmal in erwägung ziehend, dass er damit krank und zum verfall verurteilt war. für mich war er einzigartig, aus der reihe tanzend und irgendwie besonders. er schenkte mir viele bilder seines wesens, ohne dass ich mir über die einmaligkeit bewußt gewesen wäre. so ein dicker baum steht doch ewig, dachte ich oder vielleicht nicht einmal das.
irgendwann war er einfach umgefallen, ohne dass ich den genauen zeitpunkt nennen könnte. auch brachte ich den umgefallenen nicht gleich mit ihm in verbindung. als ich es dann registrierte, machte mich das sehr traurig.
ich begann ihn zu besuchen, wieder und immer wieder, wollte ihn begleiten in der phase des vergehens.
das tue ich nun schon in unregelmäßigen abständen seit 6 jahren. minutiös registriere ich seine veränderungen. seine dicke rinde läßt sich immer wieder neues einfallen – pilze, moos, gras und andere pflänzchen nisten sich bei ihm ein, sozusagen untermieter, und scheinen sich wohl zu fühlen. und er, der baum, die eiche, gibt ihnen die erforderlichen nährstoffe und dazu eine gute aussicht. sie bilden eine gemeinschaft – er im gehen – sie im kommen. jahr für jahr geht das jetzt schon so.
das innen wird immer weniger. eine humusschicht hat sich gebildet, verflüchtigt sich. jetzt kann ich durch ihn hindurchsehen. letztens hat er mich so gelockt, dass ich durch ihn hindurch gekrochen bin. das war nicht ganz einfach mit meinen schmerzenden hüften. die beinen machten mitten in diesem unterfangen schlapp. erinnerungen stiegen auf, dass ich einmal geschrieben habe, dass ich hier sterben möchte. als ich nun so eingeklemmt feststeckte, flehte ich, aber jetzt noch nicht… und er entließ mich aus seinen fängen. eine initiation besonderer art.
wir haben eine ganz besondere beziehung. wenn ich zu ihm stelze durch den niedergefallenen adlerfarn – das ist nur über den winter und bis ins frühjahr hinein möglich – ist mir das immer wie ein ganz wichtiger besuch und freude steigt in mir auf. schon jetzt habe ich angst, dass das einmal nicht mehr so sein könnte und mir mein gebrochenes herz zurück bleibt. aber wer weiß, vielleicht überlebt er mich ja auch…
die neugier, die ich an seinem dasein festmache, würde mir fehlen. immer hält er besonderheiten für mich bereit. sein rauhes äußeres beult mal aus, reckt sich in die höhe – und immer wieder anders.
fabelwesen schaun mich an – plaudern geheimnisse aus. sie sind gesprächig – flüstern mir dinge ins öhrchen, von denen ich nur träumen kann. sie kennen mich schon mit meiner neugier. immer fällt ihnen etwas neues ein. es wird nie langweilig mit ihnen. sie freuen sich, wenn ich mich interessiert zeige – sie erzählen gern. mehr und mehr komme ich ihnen auf ihre schliche, was sie gar nicht stört. im gegenteil – sie setzen immer noch eine überraschung drauf. woher sie nur all diese eingebungen bekommen. ich habe so einen verdacht, aber ich kann völlig daneben liegen. sie sind so gewitzt und schlau obendrein. aus jeder lage wissen sie etwas zu machen, das erstaunt mich. zauberwesen sind sie – jedes auf seine art. ist das eine mal betrübt, lacht sich das andere ins hörnchen. hörnchen an hörnchen ergeben sie ein kunstvolles gebilde und mir ein schönes foto.das wetter spielt eine nicht geringe rolle. bei regen schlagen die baumstammwesen besondere kapriolen – dann ist das grün noch grüner, das moos bildet pölsterchen und auch die pflanzen recken sich in die höhe. im eingang, der mir fast erlaubt darin zu stehen, hat sich adlerfarn eine startposition erobert – baum und farn eine symbiose.
nun muß ich geduldig sein bis zum winter – erst dann komme ich wieder durch den welken und gebeugten farn hindurch zu meinem baum. er wird sich verändert haben und mir seine wintererlebnisse erzählen. ich kann es kaum erwarten.
Deine Sprache zum Baum: Wie zu Mutter und Vater!
die tief traurige verrückte Leiche der Eiche — und ein zartes Menschlein davor.
Aber traumhaft – der irre lebendige Baum — er stimmt aus 27 Indianer-Stämmen !
—
ina
Liebe Waldfrau Rosadora
du selber Urwald
du selber Blatt Stamm Wurzel
du selber Grün Braun Grau
belichtet beschattet
gefasert gemustert gekrümmt
du Erde du Baum
Danke, Elsbeth
er wird dich erwarten
ob baum ob moos ob humus
er erinnert sich
wie du dich erinnerst
in seinem inneren
gefangen und wieder geboren
zu sein
er ist frei
er lässt dir die freiheit
seine kinder sind
unzählig
wahrscheinlich
das ist treue
ja