PAUL SHARITS – EINE RETROSPEKTIVE…

… IM FRIDERICIANUM KASSEL

FRIDERICIANUM_PAUL SHARITS_FILMSTREIFENFrozen Film Frame: N:O:T:H:I:N:G, 1968 – 16-MM-Farbfilmstreifen zwischen Plexiglasscheiben – 3-teilig, je 155 x 216 cm

das ganze werk von paul sharits, dem so früh verstorbenen künstler, zu erfassen oder sogar zu begreifen ist unmöglich. da er selbst seine arbeiten als gelegenheiten für meditativ-visionäre erfahrungen benennt, lasse ich es – erstmal – bei meinen begehungen zwischen seinen welten und geniesse die farbigkeit und dass evtl. hier und da mir ein kreativer gedanke aufblitzt.

seine erklärungen von 1967 zu seinen arbeiten füge ich hier an, um einen tieferen blick in das farbenspiel zu bekommen:

FRIDERICIANUM_FILME_Ich bin versucht, diese Gelegenheit zu nutzen, um überhaupt nichts zu sagen und meine Filme einfach sich selbst transportieren zu lassen. Doch das wäre womöglich zu arrogant, zuma – was noch wichtiger ist – ein großer Teil meiner Kunst „sich nicht selbst beinhaltet”. Es ist schwierig für mich, über „meine Intentionen” zu sprechen, nicht nur weil die Filme großteils Erfahrungen ohne Worte sind, sondern weil sie so strukturiert sind, dass sie mehr von ihren Betrachtenden fordern als Aufmerksamkeit und Anerkennung; das heißt, diese Arbeiten bedürfen einer bestimmten Fusion aus „meinen Intentionen”, den „Intentionen der Filme” und den „Intentionen der Betrachtenden”.
Dies hat nichts damit zu tun, „einem Publikum gefällig zu sein”. Damit will ich sagen, dass in meinen Filmen das Aufblitzen projizierten Lichts ebenso neuronale Übermittlungen auslöst wie es ein Gegenstück zu solchen Übermittlungssystemen ist, und dass die menschliche Netzhaut ebenso sehr eine „Filmleinwand” ist wie die Leinwand selbst.

Auf die Gefahr hin, unbescheiden zu klingen, habe ich das Gefühl, auf eine völlig neue Konzeption von Kino hinzuarbeiten, indem ich die grundlegenden Mechanismen bewegter Bilder neu untersuche und indem ich diese Grundlagen ausdrücklich konkret mache. Weil „abstrakte Filme” Erweiterungen der Ästhetik und Bildprinzipien der Malerei oder einfach Demonstrationen von optik sind, sind sie traditionell genauso wenig filmisch wie es erzählend-dramaturgische Filme sind, die Literatur und Theater auf eine zweidimensionale Leinwand zwingen. Ich möchte mich von Imitation und Illusion abwen den und mich in das höhere Drama des Zelluloids begeben, der zweidimensionalen Filmstreifen; der rechteckigen Einzelbilder; der Beschaffenheit von Transportlöchern und Emulsionen; des
Betriebs von Projektoren; des dreidimensionalen Lichtstrahls; der Umgebungs-beleuchtung; der zweidimensionalen reflektierenden Leinwandoberfläche; der Leinwand der Netzhaut, des Sehnervs und individueller psychophysischer Subjektivitäten des Bewusstseins. In diesem filmischen Schauspiel ist Licht vielmehr Energie denn ein Werkzeug für die Darstellung nicht-filmischer Objekte. Licht, als Energie, wird freigesetzt, um seine eigenen Objekte, Formen und Gewebe zu erschaffen. Angesichts der Trägheit
der Netzhaut und der flackernden Verschlussmechanismen der Filmprojektion, kann man virtuelle Formen erzeugen, tatsächliche Bewegung kreieren (anstatt sie zu illustrieren), tatsächliche Farbräume schaffen (anstatt sie abzubilden) und sich in tatsächlicher Zeit bewegen (unmittelbare Präsenz).
Obwohl meine Filme thematische Strukturen haben (wie etwa eine Form des
Strebens, die zu mentalem Suizid und Tod führt, und dann die Rhythmen der Wieder-geburt in Ray Gun Virus oder das Potential sexueller Dynamiken als Alternative zur destruktiven Gewalt in Piece Mandala/End War), sind sie keineswegs Geschichten. Ich
betrachte meine gegenwärtigen Arbeiten als Gelegenheiten für meditativ-visionäre Erfahrungen.

Paul Sharits, Allgemeine Erklärung für das 4. Internationale
Experimentalfilmfestival in Knokke-le-Zoute, Belgien, 1967
FRIDERICIANUM_sharits STREIFEN_die arbeiten erinnern an die flickenteppiche der 60ger/70ger jahre – doch sie sind höchst diffizile strichführungen von acryl, marker, filzstift, u. Mixed Media auf Papier oder Mylarfolie auf schaumstoffkern
FRIDERICIANUM_HINTER GLAS_hinterglasarbeiten und mathematisch berechneter schattenwurf auf papier.

die meditativ-visionären erfahrungen bedürfen zeit und noch mehr geduld…

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