LETZTE DINGE…

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letzte dinge

dieser tage habe ich zu einem büchlein gegriffen, das zwei gespräche von zwei schriftstellerinnen der generation meiner mutter enthält und die ich mit ihr so nicht führen konnte –
ILSE AICHINGER, 1921, und
FRIEDERIKE MAYRÖCKER, 1924.
es sind gespräche über den tod. eingekleidet in zahlreiche assemblagen von daniel spoerri, 1930, und somit der jüngste von den dreien.
dass sich ein roter faden spinnt von einer bekannten, johanna f., 1924, die in ihren jungen jahren in paris kunst studierte und dort daniel spoerri traf und eine liebe mit ihm hatte, hin zu den beiden schriftstellerinnen, wusste ich bisher nicht.
johanna erzählte mir von ihrer liebe zu daniel spoerri, als vor jahren im schloss der insel mainau bei einer ausstellung werke von daniel spoerri zu sehen waren.
nun ist er mir bekannter als die beiden frauen.

in dem büchlein, das es verdient hätte ein buch zu sein, vom format aus betrachtet, ist mir die zartheit der dinge dieses grossen, starken mannes sehr ans herz gegangen und sind ein gegensatz zu seinen sonst eher grossen und massiven objekte.
es scheint auch einen roten faden zu geben zwischen den werken der künstlerinnen und künstlern jener zeit – so denke ich dabei an eva aepplii, 1925. daniel spoerri war auch mit ihr befreundet. bei ihr sah ich im tinguely museum in basel diese „zarten dinge“.
eher läge mir daran, von der zartheit in groben dingen zu reflektieren, als über das büchlein LETZTE DINGE, die sich alles andere als zart erweisen.

ilse aichinger, die sich nach dem tod sehnt, ihn als „zerbrecher und zerstörer“ sieht, hält ihre existenz für völlig unnötig.
…“ich habe es schon als kind als eine absurde zumutung empfunden, dass man plötzlich vorhanden ist. da müsste man zumindest gefragt werden, ob man nicht einfach wegbleiben will. dann wäre ich weggeblieben.“
es wäre interessant zu wissen, wie sich die menschen entscheiden würden, wäre ihnen diese frage gestellt worden.
ilse aichinger rennt bis zu viermal am tag ins kino, „um meine zeit tot zu schlagen, weil es mir schon viel zu lange dauert.“
wenigen dauert es schon viel zu lange, eher wollen sie hundert und noch älter werden aus angst vor dem tod und weil sie nicht wissen, was dann kommt. niemand weiss, was dann kommt, das ist gut und gibt immer von neuem zu spekulationen anlass.

friederike mayröcker bezeichnet den tod als ihren feind und kann ihn überhaupt nicht akzeptieren. mit 80 oder 90 „abtreten“ zu müssen, scheint ihr als grosse beleidigung im vergleich zu tieren, riesenschildkröten z. b. und auch bäume, die über 500 jahre alt werden können.
der tod ist
ekelhaft,
ein eklat,
ein skandalon,
eine frivolität,
eine schmach,
eine verdammung und
eine herabsetzung des menschlichen lebens.
sie hat angst vor dem tod, vor dem zustand des „gestorben-seins“.
mit der sprache kann sie sich gegen den tod sträuben.
„aber nur für die zeit, in der ich schreibe. die angst kommt immer wieder.
es ist eine metamorphose der angst vor dem tod.“
sie will nicht plötzlich sterben, will sich mit dem tod auseinandersetzen können.
200 jahre lebenszeit schweben ihr vor, aber besser noch „müsste man so lange weiterleben können“, bis man sagt, „jetzt habe ich genug. jetzt möchte ich abtreten.“

mich haben die gespräche sehr nachdenklich gestimmt. ich habe mir kein sehr starkes bild von den beiden künstlerinnen gemacht anhand ihrer texte. doch das bild trifft nicht – das bild künstlerin oder frau triften weit auseinander.
mehr als die gespräche haben mich die „kleinen zartheiten“ daniel spoerris berührt.
immer berührt mich ein bild mehr als ein wort…

5 thoughts on “LETZTE DINGE…

  1. Ob ich wieder kommentieren kann?

    Schön, dieses Dreiergestirn, wovon ich die Lyrikerinnen besser kenne als den Künstler. Wie konträr doch die Ansichten über Leben und Tod sein können!

    Lieben Gruss,
    Brigitte

  2. wie konträr und doch wie berührend sind diese Lyrikerinnen und mit ihnen Ihre Gedanken zum Tod. Ich finde es einfach wichtig, dass wir uns mit dem Tod beschäftigen. Eigentlich ist er doch aus unser aller Leben verbannt. Sie schicken die alten in Heime und Krankenhäuser die Kranken in Hospize, um dort zu sterben. Damit will ich nichts sagen, dass ein jeder seine Alten pflegen und bis zum Tod begleiten muss, wenn er dies nicht leisten kann. Wichtig finde ich aber zumindest eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Tod – er gehört schließlich zum Leben – und so können vielleicht auch Ängste abgebaut werden, die nicht nötig sind.

    Ein Winterabend

    Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
    Lang die Abendglocke läutet,
    Vielen ist der Tisch bereitet
    Und das Haus ist wohlbestellt.

    Mancher auf der Wanderschaft
    kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
    Golden blüht der Baum der Gnaden
    Aus der Erde kühlem Saft.

    Wanderer tritt still herein;
    Schmerz versteinerte die Schwelle.
    Da erglänzt in reiner Helle
    Auf dem Tische Brot und Wein.

    Georg Trakl

  3. in der jugend dieses gefühl der unsterblichkeit
    uns geschieht das nicht
    und dann plötzlich das wissen
    ich werde alt
    ich bin alt
    tod tritt ins leben
    die schwiegermutter
    der schwager
    jetzt der schwiegervater
    es bleibt trauer
    aber je älter ich werde um so mehr gehört mir der tod zum leben dazu
    nur das sterben ist in unserer zeit so schwer
    wie bea sagt…

  4. das stimmt, liebe birgit. und das können wir nicht selbst bestimmen, oder…
    danke
    und schöne grüsse
    rosadora

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