ICH SCHLAFE – MEINE SEELE WACHT…

der fotografische blick als weg in die seelenlandschaft tod und sterben.
bilder, die in die ewigkeit reichen

gefunden auf jüdischen friedhöfen – hier kassel

die bilder finden – sie tief in mir versenken…

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knochentrockenes holz. mir vor die füsse. chaos im revier. grabplattenverschändelung. zuerst denke ich das. ich steige – steige über die gräber – über holz. herbstholz – herbstfriede – herbstgewölk. finde mich ab. schaue betroffen erst. sehe mehr dann. sehe ordnung im chaos. mir fremd. schnell doch vertraut. neue bilder, neue ausblicke, neue befindlichkeiten. kastanienbäume. braun zusammengerollt die blätter. eichen auch. ein eichenblatt – gelb – auf grünem moos – moosmoos.

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frühlingsgrün im herbst. klitschig grün das nasse moos. rutsche, stolpere. fange mich zwischen den steinen. lege mich zwischen – lege mich zwischen die steine – gedanklich – zwischen. zwischen. suche nicht und finde. finde unsagbares. lege gedachtes zu unsagbarem. fädele es auf meine gedankenkette. fädele, wie im fallen das aufstehn – steigen. ungewolltes – gekonntes – gewohntes immer wieder. heraustreten. jetzt zaghaftes stelzen. zurück und wiederholen. den blick noch einmal wiederholen. das gesehene sehen. ihm begegnen. mich gegenüberstellen. geglaubt, es schon zu kennen. nie kennen wir etwas – nie. die geburt des augenblicks. neu geborenwerden, immer immer neu. ein gespür entwickeln – dafür. für das ständige geborenwerden. am anfang sein – immer erst der anfang. auch am ende ein anfang. anfangen. anfangen lassen. es als chance sehen. sehen als chance, bewussteres sehen als grosse chance.
spinnengewebtes. vorsichtig, zart, fein, unaussprechbar zart. seelenfäden.

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unbeteiligtes betrachten verwerfen. die betrachterin in mir zum genauen hinsehen zwingen. über die augen hinaus das genaue sehen. hinein in die nervenbahnen der bearbeitung und des verstehens. die augen schliessen, um besser zu sehen. hineinsehen. hindurchsehen. fragend ansehen das vormir.

der knabe schwingt am seil im baum. wie auf einer schaukel. er muss die brüchigen äste entfernen. wirft sie. wirft sie auf die gräber, lässt sie fallen. fallen auf die grabplatten.
er muss das machen, sagt ein anderer . die verordnung. die verordnung sagt, dass er das machen muss. sie haben einen auftrag. den auftrag müssen sie ausführen.
sie kennen nicht die ordnung. die jüdische ordnung, nach der ordnung nicht herzustellen ist. die natürliche ordnung ist die ordnung – ver – ordnung.

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der andere sitzt jetzt mit mir auf einem grabstein. lauscht meinen worten. das hat er alles nicht gewusst. er hat einen älteren kollegen, der kann mit einem blick einen ganzen baum einschätzen. was da ab muss. er würde sich noch gern weiter unterhalten – aber seine vorgesetzten… er lernt noch. er würde gern mehr über jüdische friedhöfe lernen.
würde gern. er würde gern. aber…

stehe zwischen grabplatten. am kopf etwas erhöht. erhöht wirst du… nehmen sich aus wie abschussrampen. das passt denke ich. fliegen. fliegen in eine andere wirklichkeit. fliegen lautlos, unsichtbar. fliegen. den bewölkten himmel betrachtend. fliege mit. ich. ich fliege. unbekanntes ziel. nichtkennend, nichtwissend. fliege ich. leicht. mein schwerer körper ganz leicht. vergessen. vergessen meinen körper. vergessen die knochentrockene realität. knochen. trocken. trocken wie…

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‚friede ihrer asche‘. widerspruch in sich. die toten werden nicht verbrannt. aschenflug. flugasche. flugunterricht. das nichts taucht auf. das unsichtbare nichts fliegt sich aus. ich im nichts. leichteste leichtigkeit. endlos. fliegen endlos. augen geschlossen. besänftigte schwere. sanft. sanft gleite ich auf den boden. bodenlos.

bodenhaftung. kralle mich fest am efeu. lande. lande mit einem bein im grab. istzustand. ihn nicht wahrnehmend.
verfalle dem herbstduft, feuchtwarmbunt. moosig auch.

mauern aus unsichtbaren schatten umgeben mich. geborgen in meinem ganzen sosein. ich kauere in einer ecke im urraum des alls. wer mehr weiss als ich, sage es. tot – totgeweiht – totgeglaubt – totgesagt – tot. tod. totgeschwiegen. totgeschwiegen der tod. wer ist hier eigentlich tot? tod eine illusion. hier ist er nicht.

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nieselregen verdirbt mir meine bilder. die stimmung ist umwerfend. mein fotoapparat kann sie nicht verdauen. klitsche wird klitschiger, grün grüner. regentropfen rasten auf blättern. spiegeln die welt. spiegeln zufriedenheit. spiegeln. sie spiegeln. zeige dich lichtstrahl. gib den dingen dein leuchten. sanft nur. ganz sanft. die farben kippen, kippen leicht ins seichte. die dinge – schwer oder leicht – im licht. licht. es erhellt uns. lässt uns verblassen. gestaltungskünstlerin licht. hier sind wir im licht und dort. das dort. wir kennen es nicht. wir erkennen es nicht, weil wir es nicht kennen. ausgeliefert dem dort. dort gehen wir hin – alle. dort ist auch hier. schliess die augen und schau es an. du bist…

die zwetschgen werden nicht geerntet. ich stopfe mir die taschen voll. vollste reife. vollste süsse. du kannst doch nichts vom friedhof essen. wieso nicht? reif und süss ist der tod.
‚…auf der seite des todes weiss ich das leben…‘

ich hole das leben zwischen den gräbern. eine glockenblume. blassblaulila. eine knallerbse. wiegt sich im wind. gelbleuchtende pilze, wo einst ein baum stand. platz für pilze. platz macht platz.
einzig: kein vogel singt. die lebensmelodie verwaist.
einzig: das rauschen in den blättern. sachte windgesänge. fallen. fallen aus den bäumen. in mich. lob des herbstes. des todes. … das sonnenschiff in seiner bestimmung.

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anstrengend. wirklich sehen. schweisstreibend. kein fleck am körper ohne schweiss. das gesehene hängt sich an mich. weicht nicht von mir. redet ohne zu reden. spricht – ich verstehe – verstehe nicht. kein blinder fleck. alles zeigt sich. dass deutlichkeit sich einstelle. nicht gleich. später. vielleicht viel später. sich mir zeigen wird. zeitabstand. das begreifen deutlicher. in vergangener vergänglichkeit die bilder deutlicher . bildvergangenheiten. vergangenes nicht vergangen. vergehen vergeht nicht. widerspiegeln im zerfall.

stein über stein. steine ganz versunken. steine überwuchert vom grün. stein zu stein. steinhaufen überflüssiger. das geheimnis im bild. metaphern neu lesbar. zu deuten neu. neues erspüren. wird neu sich auftun. haus des lebens. bewohnen das neue haus. mich nicht einrichten. wohnen im nichthaus. sein im nichtsein.

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wirft lange schatten herbstsonne . durchkreuzen meiner bilder. die sonne nicht am rechten ort. der baumgärtner sagt, mit dem schatten sieht es auch gut aus. er zeigt in die richtung, wo er die schattenbilder fand. schattenbilder. schattenreich. schatten legen sich zu den gräbern. schattengräber. mein schatten, ihre schatten flechten sich zusammen in ein schattenbild.

zwei tage später. keine schatten. sonne hinter wolken. regenwolken. nieselregen. das licht nicht licht zu nennen. düstere stimmung. ich bleibe. probiere die bilder neu. die neue stimmung. lasse mich tiefer ein und tief. tief ist mein sehen. hinein und hinunter. die särge in den gräbern in meiner vorstellung. kauere gebückt. horche. lausche deutlicher. die stille wird lauter. verschluckt mich. legt sich um mich wie weiche wolken. fällt ab alles aussen. geduld ist gefragt. die stille ertragen. geduldig. wollen auch. zeit ist nicht zeit. zeit illusion. entspannung. fast auflösung ins nichts. was ist das nichts.

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ein eichelhäher ruft mich zurück. jagt durch den eichwald. kleiber klettert. hinauf und hinunter. das ratschen der vogelkrallen in der rinde des baumes. es lebt um mich, lebt wie verrückt. deutlicher die lebenszeichen. deutlicher leben. leben und tod durchdringen sich. beleben sich gegenseitig. tod ein aufwecker. ins leben verweisender.
kastanien unter einem baum, soviel, als hätte der wind den baumstamm in die hand genommen und daran gerüttelt. kastanienteppich. niemand liest sie hier auf. niemand ist hier ausser mir. schon gar keine kinder. noch nie sah ich ein kind auf einem jüdischen friedhof.
ein einziges kindergrab. gräber von kindern kann ich fast nicht aushalten. ich schreie. innen. schreie ich. kein bild im haus des lebens für kinder. noch habe ich keines. meine vorstellung streikt. sie will diese kinderbilder nicht im schattenreich. ein grab in den wolken. für die kinder ein grab in den wolken.

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der tod ist überall. begreife es. überall und zu jeder zeit. zeitlos der tod. ohne zeit. todzeit. zeittod. tod verliere deine schrecken. ganz. ohne schrecken. schreckenlos der tod. vielleicht einmal. ganz.

herausfallen aus dieser welt. zum gefallenen blatt mich legen. den duft von reife. zweites blühen. jedes blatt eine farbenblüte. kastanienbraun. wüstengelb. lilablauweissrot. der fruchtweg unter meinen füssen. um mich herum. überall. oben wie unten. sehr hoch – sehr tief. in tiefste tiefen legen die frucht. ruhen. schlafen. erwachen. blühen. wieder und wieder. die frucht kreist im weltall. allüberall samen und früchte. sie nähren mich. hier wie dort. nähren sie mich.
verlässlichkeit auf unvorstellbares. unerkennbares auch. vertrauen dem unfassbaren. urvertrauen. dem urgeschehen vertrauen.

ich entsorge eine bierflasche auf dem gleichen weg, wie sie herein gekommen ist – über die rote ziegelmauer. oder sollte der biertrinker die nacht im schutze der roten mauer verbracht haben. friedhof als versteck. geborgenheit für eine nacht. oder auch viele. als haus. vorübergehend. noch. ruhiger als auf jeder parkbank. moosweich der grund. heckenecken im verborgenen. baumdächer. der schrift gehorchend: ruhe sanft.

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die schrift. geheimnisvoll. mossdurchzeichnet. mossumwuchert. einzelne buchstaben freigebend. nicht zu deuten. nicht lesbar in der hebräischen prägeart. aufregend in ihren schwüngen. löwenmäuler gähnende. grüne kamäleonaugen vom feinsten moos. schlängelndes etwas. vielseitig zu deuten. uroborusbruchstücke. hände. mittel- und ringfinger gespreizt. hände des abschieds und des wiedersehens. eindeutig. blickfällig. im stundenglas die zeit für die ewigkeiten. die bemessene zeit. angehalten in ihrem rinnen. zeitlos. die kanne. der krug. überraschendes geschenk. unerwartet. mir doch tatsächlich eingebildet, jedes eckchen dieses friedhofes zu kennen. weit gefehlt. sicher nie zu erreichen. nicht brechen der krug, noch lange zum brunnen gehen, die dürstenden stillen.

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wasser des lebens im hause des lebens. alles bereitet.

das leben tobt. jenseits der mauer tobt das leben. die schulkinder. die autos. die mähmaschine. in diesem toben der tod. nichtwissend tobt das leben. leben fällt in die stille. ein riss in die ruhe der toten. ein aufbäumen des lebens in der zeit. das leben laut. übertönt den tod. verschluckt das bedenken. stört meine stillen bilder. stört mich in meinem innehalten. in meine leise zeit das laute leben. verdrängung. verdrängung des lebens. des todes. wo bin ich. was hält mich in der zeit. zeit zum leben. zeit zum sterben. lebenszeit – sterbezeit. ist todeszeit tote zeit? zeitlos die zeit in der ich lebe. ohne zeit die zeit in der ich nicht mehr lebe. herauskommen aus der zeit. in was?

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