S P I E G E L B I L D . . .

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alles
was wüst
und leer ist
in mir
tritt zutage

und versteckt
was denkt
und noch sucht
und sich sehnt
und sich ändern könnte

mein gesicht
verfettet
und alternd
straft mich wahrheit

erich fried

wem das nicht so ginge beim anblick des eigenen spiegelbildes…
und wie sie sich zeigen, die spuren eines langen lebens – die ‚wüsten und leeren’ überdeutlich, wie mir scheint. wo verstecken sie sich nur – die denkerinnen, die sucherinnen, die sehnerinnen und die grossen noch bereiten änderinnen? vielleicht brauchen sie ihre energien, um noch intakt sein zu können, um noch eifrig die welt zu hinterfragen, wieder und immer wieder, um (sich) noch zu ändern und zu verändern, um an deutlichkeit und wahrhaftigkeit zu gewinnen. dann würden sie sich das ‚zutagetreten’ aufsparen bis zuletzt, bis ganz zuletzt und sich beschwichtigend über ein gesicht legen, zu gunsten eines friedlichen aussehens, das man bei toten so gern wahrnehmen kann (will).

die angst vor dem tod wollen wir uns so nehmen. dass uns unser langsames sterben im leben nicht als sterbe-prozess bewusst wird, liegt an unserer verdrängung. wir nennen das leben leben und den tod tod. wir berücksichtigen nicht, dass das eine mit dem anderen vom ersten tag an miteinander verknüpft, also nicht zu trennen ist. das klare sehen lassen wir ausseracht und das ist tragisch. wie sorgfältiger müssten wir mit unserem lebenstod umgehen, wie wertvoll müssten wir in ‚demut’ vor ihm uns verneigen.
ich nehme hier das wort ‚demut’, weil ich es ERICH FRIED zuordne, der es in einem seiner gedichte einsetzte. ganz verunsichert rief ich ihn in london an, wie er diesen begriff der ‚demut’ füllen würde. es ist lange her, ich weiss seine erklärung nicht mehr. aber wenn ich diesen ‚veralteten’ begriff heute spüre, dann für leben, für tod und die lebewesen auf dieser welt, die älter sind als alle sprachzuordnungen.

in diesen kreislauf eingeordnet sind die spuren im gesicht eines menschen, ob ‚wüst’ oder friedlich nicht von geringster bedeutung, auch, wenn ich mir abundzu mal die haut vom gesicht ziehen möchte, wie ‚die gänsehirtin am brunnen’, die auf den dreimaligen ruf einer nachteule hinausgeht zum brunnen unter drei alten eichen, wo sie sich die haut vom gesicht zieht, sich ihr ‚neues gesicht’ wäscht mit dem wasser aus dem brunnen und trocknen lässt.
aber wer hört heute noch auf den schrei einer alten nachteule.

(ich folgere eher, dass der brunnen das wasser eines ‚jungbrunnens’ barg und ihr gesicht durchblutend verjüngte und sie sich nicht einer schlange gleich häutete).

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