ELFRIEDE JELINEK wird 60 –
ihre österreichische kollegin CHRISTINE NÖSTLINGER wird 70
während elfriede j. häufig gelobt, aber unglaublich vielmal mehr beschimpft und niedergemacht wird, erntet christine n. lob um lob ohne tadel, weil sie ‚den nerv der zeit’ trifft.
‚den nerv der zeit’ triftt elfriede j. ebenso, aber jeweils in einer skrupellos kritischen, unerhört anstrengenden art und weise, dass sich jede/r gleich gemeint fühlt, obwohl kaum jemand etwas recht versteht.
sie hat das talent, ‚sprache verkehrt gekehrt’ einzusetzen, worte zu enthüllen, oft auch in ihr gegenteil, was vielen missfällt. ihr gelingt es, mit der enthüllung der sprache zustände zu entschleiern, offenzulegen, allzu offen, so dass man das ganze blosse gerippe der zustände zu sehen bekommt. das schockt und soll es ja auch. nur die reaktionen, die man erwarten könnte, geschweige denn veränderungen, bleiben aus. stattdessen ist und bleibt sie die ‚nestbeschmutzerin’. wie einfältig – so eine festlegung – und geradezu zum verrücktwerden, dass worte in ihrer hartnäckigkeit nie mehr weichen, in den gehirnen der menschen so fest, zu fest, nisten. dazu brauchte es nachdenken und einsichten, die sich so der aussichtslosigkeit der veränderungen einreihen.
„das gefüge einer seite guter prosa ist, logisch analysiert, nichts starres, sondern das schwingen einer brücke, das sich ändert, je weiter der schritt gelangt“ (musil).
‚das schwingen einer brücke, das sich ändert’ – ein schönes hoffnungsvolles bild. nur wenige wagen sich hinüber, nehmen die brückend erbauten wortgebilde nicht wahr und schon gar nicht als das, was sie sein könnten.
so wird elfriede j. immer das bleiben, als was sie sich sieht, als die, die auf der anderen seite steht – allein und alleingelassen.
so muss sie weiterhin auf das lauschen, ‚was die nacht spricht’ und ‚immer schön aufpassen’, dass sie bei der verbindung des einen mit dem anderen, des tages- und des nachtgeschehens, den faden nicht verliert. es wäre einfach, diesem ‚faden’ zu folgen, um zu ihr zu gelangen – auf die andere seite. wir brauchten da ja nicht zu bleiben, könnten jederzeit wieder zurück. aber wir hätten einsicht erhalten und gingen verändert und nachdenklicher durch die welt – durch diese welt mit ihren menschen, den so verlorenen, den verblendeten, den irregeführten, den verzweifelten, geschändeten, ausgestossenen. vielleicht, vielleicht nur, träte eine geringfügige veränderung ein, geringfügig, aber doch eine veränderung zum besseren hin, zum menschlicheren, zum achtsameren.
es gehört etwas geduld undeinfühlung dazu, elfriede j. in ‚die wörtlichkeit der welt’ zu folgen, und sätze zu entdecken, die sich der verständlichkeit nicht entziehen, wie: ‚der einem fremden willen unterworfene treibt, wie stückgut, papierln, äste, am wesen des lebens vorbei’, wenn wir auch darin eher ihren eigenen starken willen erkennen können, als unseren eigenen. wir betreiben ungern (abgesehen davon, dass wir es gar nicht vermögen) einen so grossen aufwand wie sie, keine unterworfene, kein unterworfener zu sein. aber vielleicht die sicht des so bildhaft aufgezeichneten könnte uns verständniswillig machen, dass das ‚wesen des lebens’ wie ein grosser see zu betrachten ist, (geschweige denn wie ein grosses meer – wir würden die übersicht verlieren, nein, sie gelänge uns erst gar nicht) in dem wir schwimmen, mit all unserem drumherum, was immer das auch sei.
elfriede j. denkt den wörtern nach. sie hinterfragt sie, kippt sie um und aus, wiegt sie ab, striegelt sie auf ihre tauglichkeit und vor allem auf ihre wahrheit, ihre ganze unbequeme wahrheit, solange, bis sie ‚eine stimme hört, die ihren ton sucht’, einen ton, der klingt, oder auch schreit, aber wahrhaft ist.
sie tut dies, weil es sie drängt, weil ‚ihr so ist, als trügen die menschen verblendungen’.
zu dieser verblendung gehört, dass sich die menschen ein bild machen von ihr, obwohl wir uns ‚kein bildnis’ machen sollen. und sie entgegnet: „alle, die glauben, sie wüssten etwas über mich, wissen nichts“.
Bist Du mit Elfriede seelenverwandt? der Text trifft auf die Wortkünstlerin zu, sie könnte ihn selbst geschrieben haben. Aber sie sagt ja das, was Du zitiert hast.