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Quergeschrieben:
Keine Gewissheit – nirgendwo
von rudolf taschner (Die Presse) 24.08.2006
es ist gewiss, dass ich hier schreibe – oder ist es das doch nicht – schreibt eine andere. wer aber dann? bin ich mir meiner gewiss? in einer zeit, wo alles hinterfragt und auf den kopf gestellt wird, festgestellt wird, dass die mathematik von unserem kleinen hirn nicht tatsächlich erfasst werden kann – wegen der strecke der unendlichkeit – geht uns schon sehr an, dass die aussagen eines menschen – insbesondere in der literatur – nicht wirklich gewissheit verschaffen über den inhalt und darüber hinaus. ich entscheide selbst, ob es für mich relevant ist.
gewissheit ist eben nicht gewiss. es gibt sie nicht – nur im rahmen unserer kleinen menschlichen existenz bilden wir sie uns ein. und da wir sie haben wollen, unbedingt, hängen wir uns an die worte eines g. grass, hängen uns an ihn als soziale und menschliche instanz und sind enttäuscht, wenn er konträre äusserungen zu dem bisher geäusserten macht. ob er in der waffen-ss war oder nicht. welche rolle spielt das heute noch? es geht doch um die glaubwürdigkeit und die zimmern wir uns selbst zurecht, wollen jemanden haben, der für unsere eigenen irrungen geradesteht.
begegnen wir doch den schilderungen in einem buch so, dass wir annehmen, es kann alles so gewesen sein, aber auch ganz anders und machen uns unseren eigenen reim. sich den überzeugungen eines anderen dranhängen ist immer gefährlich. ich muss mich an meiner eigenen wirklichkeit orientieren, sie leben und dafür einstehn – nur das zählt. da habe ich genug zu tun, um ein sozial und menschlich orientiertes wesen zu sein.
nun die tatsache anzweifeln zu wollen, das g. g. in der waffen-ss war, widerspräche unserem bisherigen verhalten – haben wir ihm doch bisher alles geglaubt, oder nicht?
Das gefällt mir sehr gut, was Du schreibst. Ich muss sagen, ich war ganz erstaunt über die starken Reaktionen; für mich war Grass immer ein guter Schriftsteller, und ich war auch mit seinen politischen Aussagen großenteils einverstanden, aber er war für mich keine Autorität. Deshalb war ich bei der „Enthüllung“ zwar erstaunt, aber nicht weiter enttäuscht.
Ich wundere mich oft, wie viele Menschen dazu neigen, andere zu bewundern und als moralische Autorität für sich anzuerkennen – da muss die Enttäuschung kommen. Was Du sagst, drücke ich so aus: man hat seine Autorität in sich!