ERKLÄR MIR, LIEBE…
während meines studiums ‚ästhetische kommunikation’ beschäftigte ich mich mit lyrik.unter den von uns zu rezitierenden gedichten befand sich das gedicht ingeborg bachmanns: ERKLÄR MIR LIEBE… so las ich es und ich meine noch in der erinnerung, dass es nicht hiess: ERKLÄR MIR, LIEBE…
es löste grösste verwirrung bei mir aus. wer sollte da wem was erklären???
Ich begriff lange nicht, dass die liebe die sein sollte, die erklärte.
da kommt leichtfüssig einer, der seinen hut schwenkt, zwischen himmel und erde dahinwandert, sorglos, heiter und von keinen gedanken gequält.
die kreatur hat in jeder gestalt teil an der liebe.
da fragt sie, die dichterin, ‚und ich, muss einer denken, wird er nicht vermisst’? und die liebe, die antwortet, ‚es zählt ein anderer geist auf ihn’, wird angezweifelt. ‚ich seh den salamander durch jedes feuer gehen.’
also, lieben und denken können – das muss doch wohl unter einen hut zu kriegen sein, oder.
heute lese ich das gedicht mit einem anderen verständnis. es liegen gut 20 jahre dazwischen. da erklärte ich mirschon manches anders – auch die liebe, und erwarte nicht mehr, dass die liebe erklärt…
seinerzeit suchte ich bei jedem wort nach einer metapher. das liegt nahe, wenn einem die bachmann als grosse und komplizierte schriftstellerin vorgestellt wird.
heute kenne ich i. b. etwas besser, habe vieles von ihr gelesen, prosa und auch lyrik. malina sogar mehrfach. aber immer bleibt mir etwas schleierhaft, oder verborgen. das macht vielleicht ‚gute’ literatur aus. Alles verstehen zu wollen, wäre anmassend. die juroren des ingeborg-bachmann-preises, der heute zum 30. mal vergeben wurde, hangeln auch ganz schön in der luft. die eine sieht es so, der andere ganz anders, und das vermittelt den eindruck, dass man verschiedener meinung sein kann. ist doch gut, oder.
ERKLÄR MIR, LIEBE…
dein hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im wind,
dein unbedeckter kopf hat’s wolken angetan,
dein herz hat anderswo zu tun,
dein mund verleibt sich neue sprachen ein,
das zittergras im land nimmt überhand,
sternblumen bläst der sommer an und aus,
von flocken blind erhebst du dein gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –
erklär mir, liebe!
der pfau, in feierlichem staunen, schlägt sein rad,
die taube stellt den federkragen hoch,
vom gurren überfüllt, dehnt sich die luft,
der entrich schreit, vom wilden honig nimmt
das ganze land, auch im gesetzten park
hat jedes beet ein goldner staub umsäumt.
der fisch errötet, überholt den schwarm
und stürzt durch grotten ins korallenbett.
zur silbersandmusik tanzt scheu der skorpion.
der käfer riecht die herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen sinn, ich fühlte auch,
daß flügel unter ihrem panzer schimmern,
und nähm den weg zum fernen erdbeerstrauch!
erklär mir, liebe…
wasser weiß zu reden,
die welle nimmt die welle an der hand,
im weinberg schwillt die traube, springt und fällt.
so arglos tritt die schnecke aus dem haus!
ein stein weiß einen andern zu erweichen!
erklär mir, liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche zeit
nur mit gedanken umgang haben und allein
nichts liebes kennen und nichts liebes tun?
muß einer denken? wird er nicht vermißt?
du sagst: es zählt ein andrer geist auf ihn …
erklär mir nichts. ich seh den salamander
durch jedes feuer gehen.
kein schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.
Mit 27 Jahren erhielt Ingeborg Bachmann 1953 den Preis der Gruppe 47. »Der Spiegel« widmete ihr das Augustheft 1954 mit großer Story und machte die Autorin damit schlagartig berühmt.
„Was aber möglich ist, in der Tat, ist Veränderung. Und die verändernde Wirkung, die von neuen Werken ausgeht, erzieht uns zu neuer Wahrnehmung, neuem Gefühl, neuem Bewußtsein.“
Ein Tag wird kommen
Gespräche in Rom. Ein Porträt von Gerda Haller. Mit 1 CD
SCHALLMAUER
der lärmteppich, breit und laut,
hinter dir her schleift,
was mehr lärmt, alles
lärmt und laut lärmt
es, es zittern
deine häuser alle,
jeder fußbreit
in deinem kopf
alle deine besitzungen
gedanken, gedenken
die nie die deine war
dieser wahn, es ist nicht
mehr, nichts ist mehr, und
es ist nicht mehr weit
bis mit dem großen knall
unter dem du dich duckst
über dir, oben, du
die schallmauer durchschlägst,
nach oben.
du duckst dich, du bist schon
oben und trittst deine reise an
mit funkelnden fetzen und felgen
mit ausgerissenen [2] nähten und
einer wahnkraft, für deren
durchschlag der himmel immer zu weich
und die erde zu hart ist.
Alles verloren,
die Gedichte zuerst
dann den Schlaf,
dann den Tag dazu (…)
bis weniger als nichts
und ich nicht mehr
und schon gar nichts war.
LIEDER VON EINER INSEL
(1954)
…
wenn einer fortgeht, muß er den hut
mit den muscheln, die er sommerüber
gesammelt hat, ins meer werfen
und fahren mit wehendem haar,
er muß den tisch, den er seiner liebe
deckte, ins meer stürzen,
er muß den rest des weins,
der im glas blieb, ins meer schütten,
er muß den fischen sein brot geben
und einen tropfen blut ins meer mischen,
er muß sein messer gut in die wellen treiben
und seinen schuh versenken,
herz, anker und kreuz,
und fahren mit wehendem haar!
dann wird er wiederkommen.
wann?
frag nicht.
…
ICH WEIS KEINE BESSERE WELT