ROBERT WALSER

als mir vor vielen jahren ein text von robert walser in die hände fiel, der mich tief beeindruckte , hatte ich von ihm noch nie gehört.
‚GRÜN’ – er schildert darin ein totales überwältigtsein und wie das grün alles überwuchert.
ich habe mit dem grün meine eigenen erfahrungen, die dem sehr nahe kommen, und war deshalb so angerührt. ich fotografierte das ausbrechende grün im park und band die fotos mit dem grün-text in ein bändchen. es bedeutete mir etwas. ( text siehe anhang)

seit einigen jahren lebe ich in der schweiz. es war ein verschneiter wintertag, der 25. dezember. dass das datum von bedeutung war, erfuhr ich erst später. ich stampfte durch den schnee und fand ihn auch, den robert-walser-weg.
ich fotografierte die dinge am weg, fotografierte tafeln mit robert-walser-texten, die am wegrand aufgestellt sind.
danach erst erfuhr ich, dass der 25. dezember robert walsers todestag war und nicht nur das, ich war genau dort gegangen, wo er bei einer wanderung tot zusammenbrach. es war mir anlass, mich intensiver um diesen schriftsteller zu bemühen.

in herisau, wo er viele seiner lebensjahre in der klinik verbacht hatte, schaute ich mir den ort an. willi, der uns im gelände empfing, schilderte, sein zusammenleben mit robert walser so, als habe er ihn noch persönlich gekannt. die dazwischenliegende zeit erzählt es anders. aber er konnte uns sagen, in welchem der häuser robert walser gewohnt hat. von da aus unternahm er seine wanderungen.

Fast von anfang an kümmerte sich ein carl seelig um ihn, begleitete ihn 20 jahre lang auf seinen ‚wanderungen’, nicht zuletzt deshalb, um diese gemeinsamen erlebnisse in einem einmaligen buch festzuhalten. er gibt damit dem ‚verstummten walser’ eine stimme.
es zeigt auch, dass, wenn robert walser seine lebenszeit nicht in einer klinik hätte verbringen müssen, sein leben selbständig hätte fortführen können, wie er das bis dahin getan hatte. sein leben, entsprach nicht den üblichen weisen, damals noch weniger als heute. heute würde man von einem aussteiger sprechen. er nahm sich eine arbeit, um danach wieder schreiben zu können. krisen waren da nicht zu verkraften. seine schwester, lisa, insbesondere, sah keinen anderen weg, als ihn einweisen zu lassen, dorthin, wo er eine unterkunft hatte und ‚ver’pflegt wurde. sie hatte nicht das geld, eine anderweitige lösung für ihn zu finden. bruder karl lebte in berlin.

das sind umgehensweisen, die meistens den frauen widerfuhren. sie wurden von (ihren) männern in die irrenanstalt gesteckt. frauen, die nicht den vorstellungen von familie entsprachen, in denen sie kinder zu kriegen, zu putzen und zu kochen hatten und sich einer anderweitigen künstlerischen tätigkeit zuwandten, waren suspekt, waren ubequem, waren verrückt…
s. ‚wahnsinnsfrauen’ von sibylle duda und luise f. pusch (in 3 bänden!!!).
mann sperrte sie ein, brachte sie unter ‚kontrolle’ in wahnsinnsinstitutionen.
hochbegabte, sensible und eigenwillige frauen haben in der heutigen patriarchalischen gesellschaft noch immer nicht die gewünschten plätze, von anerkennung ganz zu schweigen.
all das war robert walser auch: hochbegabt, sensibel und eigenwillig – keine frau – aber ihm widerfuhr das gleiche schicksal. arm und gleichzeitig talentiert, das kommt nicht zusammen.

warum seine texte heute so eine grosse bedeutung erlangen, liesse sich aus verschiedenen gesichtspunkten erklären. eine davon ist vielleicht die, dass robert walser zu einer verlorengegangenen spezies gehört, dass er einen sensiblen scharfen blick hatte für die natur ebenso wie für eigenarten der menschen und deren verhaltensweisen. das betraf einzelne personen als auch – politisch gesehen – menschengruppen, die sich blenden liessen von falschen meinungen und umgangsformen und damit anderen schaden zufügten.
‚wo die grösse des vermeintlich kleinen, das kleine im angeblich grossen, der reichtum der armen, die wahrheit in der lüge, die freiheit in der gebundenheit, das herrschen im dienen, die härte im weichen zu finden sind, hat niemand kontrastreicher ausgeleuchtet als dieser dichter.’ (volker michels).
zum ausleuchten von den zu- und missständen in der heutigen welt brauchte es ganz anderes als dichter. ‚in wirklichkeit ist alles nicht so schlimmm – in wirklichkeit ist es noch viel schlimmer…’ (elfriede jelinek). ich will keine vorschläge unterbreiten, jeder vorschlag wäre ein rückschlag und ich weiss es ganz einfach nicht. nur dass sie es auf die spitze treiben werden und so alle überlegungen umsonst sind. ihr erfolg, ihr gewinn wird sie und uns umbringen.

am 25. dezember 2006 – also in diesem jahr – ist robert walsers 50ster todestag. man wird einen mords truble veranstalten. aber ich wette, würde er heute leben, erginge es ihm keinen deut besser als seinerzeit. tote schriftsteller/innen haben konjunktur, die umsätze mit seinen büchern steigen. ‚ sein werk ist lebendiger denn je’ – robert walser ist seit 50 jahren tot.

es wird ein ‚gedenkjahr’ geben einen ‚robertwalser-sommer’, in zwei ausstellungen in vier europäischen städten stürzt man sich auf seine ‚mikrogramme’, u. a. in einer der bedeutensten handschriftensammlung der welt ‚fondation bodmer in cologny (ge).
frankfurt/main, berlin, prag, bern alle bemühen sich um robert walsers werk – oder was sonst?! es gibt ein ‚internationales walser-symposium ‚ferne nähe’ in zürich.
filmvorführungen, szenische lesungen, musik, wissenschaftliche vorträge zeugen von einem wahrhaft riesigen bimbamborium, über das robert walser die hände überm kopf zusammengeschlagen hätte. nun lass, doch.
die krönung ist ein angekündigter illustrierter band von joa gugger, ‚robert walsers wilde jahre’, im appenzeller verlag. die uns bekannten ‚wilden jahre…’ dürften darin nicht die geringste rolle spielen. ein reisserischer, aber nicht sehr passender niederschlag…

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g r ü n (1)

man begreift es nicht, man vermag es kaum zu fassen, es ist erschreckend, es ist etwas unheimliches, etwas beinahe überwältigendes. ‚hat es einen sinn?’ fragt man sich. beinahe sinnlos ist es. es betäubt, es macht den verstand schwindeln. es tut den augen, dem herzen weh, es beklemmt und bestürzt die seele. farbe, farbe. keine andere ist vielleicht so sehr farbe, wie diese. keine zweite farbe blendet so sehr. grün, grün.

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wohin man blickt: grün. die einfälle, die gedanken, die regungen der seele nehmen eine heimliche verwandtschaf mit dem grün an und arten in grün aus. die gesichter sind beinahe grün. es hat etwas rätselhaftes, aufregendes, grauenhaftes. nein, nein, es ist nicht so einfach; um den modernen menschen herum ist überhaupt nichts mehr so einfach. täuschen wir uns nicht, gehen wir nicht mit bleichen, kranken scherzen über dinge hinweg, die uns erschüttern, die uns die ohnmacht, in welcher wir immer, immer leben, eindringlicher fühlen machen. grün, grün.

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aus dem boden hervor quillt es dick. es ist geradezu entsetzlich. es lähmt, macht auf minuten krank, der kopf steht still, und die seele will aufschreien, will aus ihrer befestigung, dem körper, herausbrechen.
blau ist sittsam und sanft. es gibt auch im herbst und im winter ein blau. aber grün? warum grün? warum, warum so schrecklich, so köstlich, so herrlich grün. es brennt. grün: das brennt. die welt im frühling ist ein brand in grün. grün ist eine raserei von farbe.

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hochauf bäumt es sich, lang streckt es sich aus. man ist kein mensch mehr. man weiss nicht mehr, was und wer man ist. es tobt, es zürnt, es quillt, es lodert. grün ist eine fürchterlich ernste, heilige farbe, eine mahnende, fragende farbe, eine göttliche farbe.
weiss, zum beispiel, lächelt. gelb streichelt. warum gibt es schwarze und weisse katzen, und nicht grüne? ach ja, und warum schillern manchmal augen grün? grün kriecht über nacht aus dem
innern der erde, schlägt überall, überall, einer dunklen ahnung ähnlich, hervor. wie ist grün gebieterisch.

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grün sei die farbe der hoffnung? jawohl, gewiss, ganz gewiss. doch man versuche es, zu hoffen ohne je zu erzittern und zu erschauern. dicht neben, oder vielmehr, mittendrin in der hoffnung lebt finsteres hoffnungsloses bangen und verzagen. es gibt keine farbe auf der welt, die so sehr einsamkeit und planeten-verlorenheit ausdrückt wie grün. grün ist der ruhm der welt. grün ist die grösste, feierlichste farbe. es ist der farbenanfang, der inbegriff, der stolz der farben. es ist der farbenanfang, der inbegriff, der stolz der farbe. grün ist die seele der farbe. und dann: warum ist es nicht ein wenig heller? es könnte ja matter, leichter sein. aber nein, nicht hell, sondern düstersatt, samtig dunkel, wie ein weltenzorn, tritt es auf und leuchtet und schillert und blendet uns entgegen.

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warum ist man im frühling so krank, so matt, so frauenhaft auf das weiche und zärtliche gestimmt, so tatlos, so phantasielos. grün erstickt die phantasie, weil es selber eine phantasie ist. grün ist der räuber der menschlichen energien; hat nicht napoleon sich vor dem frühling gefürchtet? nicht? nun, dann bilde ich es mir vielleicht nur ein, denn auf mich wirkt es wie eine lähmung, derart, dass ich mich in eine katakombe zurückziehen möchte, um nur dem erschreckend süssen anblick zu entgehen. ich fürchte mich im winter nie vor mir, im herbst habe ich geradezu goldenes zutrauen zu mir selber, aber im grün, um gottes willen, hinein in die erstbeste kneipe, trinken, trinken. grün tötet. blühen, knospen. wozu? man versteht es nicht. ich weiss es jetzt, weiss es jetzt ganz genau, dass ein blühender frühling auf den menschen, je länger er lebt, einen immer stärkeren eindruck macht; da wird es ganz nass, da schwimmt es vor lauter grün, und alle menschenbeschäfti-gungen kommen einem so sonderbar vor, beinahe wie ein klarübersichtlicher irrsinn. es ist ja in der tat auch etwas irrsinniges am grün; und blühen: was ist es anderes als eine art irrsinn? flimmern ist irrsinn.
schon recht. man wird sich ja natürlich, als der mensch von verstand, der man ist, damit abzufinden wissen. hier wollte ich eine illustration liefern, eine verkörperung, eine verherrlichung. o, es gibt träume, die ganz dunkelgrün sind, von spuren rot durchzogen, von blau umsäumt, so, als sei unser denken und dichten blau, unser besseres wollen rot und unser leben unaussprechlich grün.

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ja, grün ist – leben, grün ist lieben. es missfällt oft. es entzückt und entsetzt zu gleicher zeit, und es wird von tag zu tag wilder und üppiger. nach und nach, gegen den sommer, lässt es an tiefe ab. man gewöhnt sich daran. dann geht man unter den reichen blätterflüsternden bäumen wie unter dächern spazieren. der staub nimmt ihm auch viel von seinem tiefen glanz weg, und mitten in grossen städten rauschen und wispern im hochsommer die blätter, die dann ganz grau und fahl sind, als seien sie von eisen.

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