jüdischer friedhof obervorschütz
das erleben, einen jüdischen friedhof zu betreten, geschieht nicht jedesmal in derselben weise. oft habe ich das gefühl erwartet zu werden. heute ist das anders.
der eintritt durch ein verschlossenes tor – ich weiss gar nicht, welche gefühle sich da regen – aufschliessen – zuschliessen – ich bin eingeschlossen mit den toten…
die scheinen auch verunsichert, recken sich mir nicht unbedingt entgegen.
die hohen bäume – licht und schatten, besonders konträr und sich gegeneinander abgrenzend– das ist auffällig. es macht das finden eines bildes schwer und erst das fotografieren…
ich muss mich sammeln, um mich zurechtzufinden an diesem ort. nichts lockt, geduld ist das allerwichtigste, den augen und meinen wahrnehmungen zeit lassen. suchen und finden vermischen sich.
die grabmäler sind stur heute, mit der vorderseite himmeln sie die sonne an, auf der anderen seite strecken sie mir ihre rücken entgegen. so gar nicht begrüsst und aufgenommen komme ich mir etwas fremd vor.
ich setze mich erst einmal, lehne an einem stein. der scheint es zu gewähren, immerhin.
mir fällt auf: keine ameisen, auch sonst kein tier, wenn ich die wenigen vögel ausnehme. eichelhäher künden mein kommen an. ich rufe zurück. sie bleiben auf distanz. später mal eine krähe. sehr viel später mal ein schmetterling, ein kohlweissling, einzig und allein. achja, und ein fliehender hase im wäldchen. keine blumen, auch keine wildwachsenden, ausnahme: zwei herbstzeitlose..
es ist einer dieser altweibersommertage.
allmählich klärt sich der blick, nimmt konturen wahr und einzelne sonderheiten.
die erwarteten ‚ich schlafe – meine seele wacht’ bilder finde ich nicht, jetzt nicht und auch später nicht. es ist einer dieser ‚ordentlichen friedhöfe’ – nordhessisch.
hier ein besonderes licht auf einem stein, dort eine das bild belebende linie, ein symbol, oder eine besondere perspektive, die ich immer wieder neu finden muss.
wie jemand denken kann fotografieren strenge nicht an. kreuz-k. o. lege ich mich zwischen die gräber, lehne an einem stein, nicht ohne um erlaubnis zu bitten. ich danke es mit einem streicheln und zärtlichem ‚danke’.
auch keinem der grabsteine scheint wirklich etwas geschehen zu sein durch all die jahre, all die lange zeit. einzig die sandsteinstelen zeigen verwitterungen, die mir gefallen. in ihnen finde ich bilder besonderer art – wie gemälde, wie eigens geschaffene fresken. symbole, die üblichen und nicht allzu viel.
an einem doppelgrabstein, nicht wissend, ob er ein aufgeschlagenes buch symbolisiert und ein oder zwei menschen gedenkt, aus warmem sandstein mit grüner patina und sternmuster, lasse ich mich nieder. ich strecke mich am boden aus, verbünde mich mit den beiden, nenne sie ‚sternschnuppen’ und meine ‚schätzchen’. sie greifen an mein herz, rühren mich an – alles geht vorüber – nichts geht verloren.
picknicken würde ich jetzt gern in ihrer nähe, aber ich habe es wiedermal vergessen. (abgesehen davon, dass essen hier auch nicht erlaubt ist. aber ich tue gern verbotenes…).
am unteren rand des totengartens scheinen die liebenden einen platz gefunden zu haben. meine deutung: die vielen – sonst auf grabmalen unüblichen – herzchen und herzen. ja einer sieht insgesamt aus wie ein herz. ‚tal der herzen’ denke ich und fühle mich hingezogen.
aufgefallen waren sie mir schon bei meinem letzten besuch im herbst, wo ich von einem plötzlichen sturm überrascht, den friedhof floh. wochenlang hatte ich danach mit einer bronchitis zu tun. das blieb mir heute – an diesem fastsommertag – erspart.
als der akku meiner kamera leer ist, sind fast alle bilder genommen, fast…
für eine weile in umgrenztem raum einer nicht endenden freiheit begegnen. Den sinnen gedankenverlorenheit gewähren.
empfangenwerden – verabschieden – bis zum nächsten mal.
aufschliessen, verschliessen, den schlüssel wieder abgeben.
Ich bin da gerne ‚mitspaziert‘. Sehr schöne Fotos, interessant mit Worten garniert. Jüdische Friedhöfe faszinieren mich auch immer wieder. Hier in Köln gibt es neben dem regulären noch einen ganz versteckten.