IDA APPLEBROOG …* 11. November 1929 † 22. Oktober 2023

NUN IST SIE GESTORBEN

die große außergewöhnliche künstlerin IDA APPLEBROOG. am 11. november wäre sie 94 jahre alt geworden. alt, das kann ich sagen. viele künstlerinnen sind erst in ihren späten jahren berühmt geworden. auf der d13 hat sie bleibende eindrücke hinterlassen. sie hat angestoßen, wachgerüttelt. mit YOU ARE THE PATIENT – I AM THE REAL PERSON  und dem kind mit der „schluppe“ auf dem kopf hat sie mich an meine eigene kindheit erinnert und michinnerlich sehr bewegt. sie hat sichtbar gemacht, was andere nicht auszusprechen wagen.

 

 

 

 

 

 

kind mit „schluppe“

zähnefletschend 
eine andere mit vampirzähnen – 
kind im unterhöschen  – 
und
  „pappa wein doch nicht“  
i caressed it
it shit in
es geht um vergewaltigung, 
um machtmissbrauch, 
um falschverstandenes, 
um falsches vertrauen und missbrauchtes. 
dargestellte szenen als „narrationsmodus“.

„die geschichten sind nicht als wahrheiten gedacht…“ 
ida appelbroog überlässt es den betrachterinnen und betrachtern, ob sie für sich eine botschaft erkennen können oder wollen…
 manch eine/r geht, das muss ich mir nicht anschaun, andere sitzen fest, wie an einem puzzle. 
endloser konsum und endlose gewalt machen ida appelbroog zornig. das macht, dass sie malen muss.
eine grossartige künstlerin, eine mutige dazu, die genau hinschaut.

NICHT ZUM LEICHTEN VERZEHR…
IDA APPLEBROOG
tagebucheintrag 1975

alles an die wand gepitscht – die allerintimsten eintragungen aus ihrem tagebuch. 
erstmal bin ich verwirrt, verunsichert, was das ganze soll. 
doch bei genauerem hinsehen tauchen unter diesen dramatischen ereignissen die „stillen momente“ auf. die zusammenhänge sind nicht zu erkennen, obwohl alles zusammenhängt… 
herausgenommene fetzen stellen einen bezug her.
 YUO ARE THE PATIENT – I AM THE REAL PERSON.

rosadora

documenta 13 –  fridericianum

 

 

EIN TAG MIT ROSAVITA IM MALATELIER…

EIN TAG MIT ROSAVITA IM MALATELIER…

eine rose – ich schaue sie an, fotografiere, beschreibe, besinge sie und vieles mehr – achja, und ich male sie. das ist neu – ganz neu und eine ganz neue erfahrung. es ist, als müsse ich sie in meinem inneren gebären, bevor ich auch nur ein zipfelchen eines blüten-blattes aufs malpapier hauchen kann – hinhauchen mit kreide. nein, ich lasse es unter meinen fingern entstehen. das gespür dafür muss ich erst noch entwickeln. kreide – in die poren des blattes hineinreiben, zart verreiben und sehr langsam, mit engelsgeduld. das ist nur der grund.
der grund einer rose. ob er hell ist oder dunkel, ob er sich mir öffnet oder verschlossen bleibt. fingerspitzengefühl brauche ich und ein ganz tiefes gefühl in mir, das sich zu der rose hinneigt, sich beinahe in eine rose verwandelt, um so viel von der rose zu verstehen, dass ich sie malen kann.
was sich mir öffnet – ich weiss es noch nicht… es ist anstrengend, wie verrückt anstrengend. schweissgebadet beuge ich mich über mein blatt, verteile verschiedene rottöne, die in die seele der rose sich einschleichen und wieder herausschauen sollen. die hellen stellen den dunklen gegenüber, damit tiefe entsteht. das leuchtende in den vordergrund.

ich trete zurück, schaue, prüfe, nichts sieht einer rose auch nur annähernd ähnlich, eher einem teppichmuster. geduld, rosadora. rosavita (auch eine rose…) haucht es mir immer wieder zu. dranbleiben – es wird schon.
ich fliesse dahin mit dem rot, und mit dem röterwerden der rose beginne ich zu brennen. es ist, als sässe ich mitten drin im feuer und es hört und hört nicht auf zu lodern.

abkühlen und mittagessen. emilio und monika tauen auf beim gespräch, rosavita und ich sind in gutem einvernehmen. noch ein käffele und dann geht’s weiter.
mich aufs neue ins feuer oder die nochnichtrose begeben. rosavita zeigt, hier heller, da dunkler, damit das helle leuchtet und das dunkle in die tiefe geht (’…da gehts abbe’ zeigt sie mit der hand), damit die rose zur rose wird, damit sie lebendig wird. ohne ihre hilfe hätte ich längst aufgegeben.

es ist mein erstes werk und ich komme an meine grenzen, die grenzen meiner geduld. ich möchte das bild möglichst aus dem ärmel schütteln. ‘nichts da’, sagt rosavita. ‘jetzt geht’s erst richtig los. zeigs mir mal’. ich bleibe dran. es beginnt spass zu machen. ich gehe noch einmal ganz willig zu meiner rose und beschwöre sie, sie möge doch nun endlich ihr rosenhaftes zeigen. inzwischen verwechsele ich die kreidestifte, krapplack und blutrot und hellrot und grundierrot. die stifte sind nicht mehr stifte, sondern bestenfalls stummelchen oder bröseln ganz dahin. vor lauter rot bin ich ganz blind.

es ist eine knochenarbeit. 8 stunden an einem stück (nur diesen tag – der nächste kommt ja noch…) übers bild gebückt und auf den beinen stehend.
in der zwischenzeit brenne ich nicht nur, sondern sehe auch aus wie eine indianerin – rot überall verteilt, hände, arme, gesicht und haar, das t-shirt ungeachtet, und füsse. auf dem laminatboden spuren von mir, wohin auch immer ich gegangen bin. auch das sofa zeigt rotes. leicht hatte ich meine füsse an mich und damit auf die sitzfläche gezogen. naja.

rosadora

FRIEDENSNOBELPREIS…

FÜR IRANERIN NARGES MOHAMMADI…

Narges Mohammadi (Archivbild: undatiert)

der FRIEDENSNOBELPREIS 2023 geht an die iranische frauenrechtlerin NARGES MOHAMMADI. die 51-jährige ist eine der bekanntesten menschenrechtsaktivistinnen im iran…

Die in Teheran inhaftierte 51-Jährige bekommt den prestigeträchtigen Preis „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle…
sie sagt: sicherlich wird mich der friedensnobelpreis… noch belastbarer, entschlossener, hoffnungsvoller und enthusiastischer machen…
 
GRATULATION UND LOB
die verleihung des preises an narges mohammadi stößt international auf anerkennung und lob. die wahl der menschenrechtlerin ist eine wichtige erinnerung daran, dass die rechte von frauen und mädchen im iran … stark zurückgedrängt werden.
in anlehnung an: tagesschau

DER JUNGE MORGEN – FÜR ROSMARIE… 2006

 

 

 

 

 

 

 

rosadora

 

DER JUNGE MORGEN…

‚da warf sich der ganze junge morgen ans haus, schmiss sich mit unglaublicher überzeugungskraft zwischen hauptstrassen, kantonstrassen, neben-strassen, quartierstrassen, überflutete die stadt mit toller wucht, rollte wonne aus, warf wolllüstige wellen, kraulte lichtkringel, lichtspiralen, liess reine verliebtheit durchblicken, setzte der stadt eine goldene, funkenbesetzte krone auf.’
du musst es auf einen atem nehmen und lesen, als wärest du selber der ‚junge morgen’, damit dir die luft ausbleibt, damit dir die vorstellung des werfens und schmeissens und überflutens wie aus der puste gekommen gelingt.
der schweizer peter weber, für sein werk ‚der wettermachen’ bewundert und gerühmt, reizt mich immer wieder, aus seinem buch heraus laut zu lesen, damit es schwingt und klingt und mich in den tag laufen lässt. etwas von seinem schwung, seiner wortakrobatik, seinen begeis-ternden, irritierenden und fantastischen bildern in mich hineinnehmen, damit der tag abgeschliffen wird, sich nicht wälzt, sondern hüpft – so angespornt und auch in freude. durchkreuzt von den ‚komischen vögeln’, ertappt in seinen trägen daseinsformen, verhüllt in nicht zu überhörende, nicht zu erklärende larmoyanz.
heute gelingt das nicht ohne weiteres. der nicht mehr ganz junge morgen ist noch immer nicht ausgewickelt aus seinem nebeltuch, diesem fetzen aus bleierner schwere und depression. es wickelt alles ein, nicht nur landschaft und häuser. die menschen in ihren guten vorhaben. sie gelingen ihnen schwer, werden zunichte gemacht. die sonne hat nichts anspringendes, stichelt nur kleine löcher in das gewebe, die sich wie selbstverständlich wieder zusammenziehen.
vielleicht rollt der tag noch zu mir hin in seiner nackten form, kann er den nebelfetzen noch durchtrennen, sich hindurchzwingen und mir sagen, was er von mir will und ich von ihm. verliebtheit…

rosadora

SCHÜTZENSWERT – DIE ERDE…

rosadora

 

mit deutlicher gebärde
der welt sagen
was sie verletzt
mehr und mehr
verlangt es
sie zu retten

herausfordern
die menschen
aus ihrem
lauten schlaf
ihnen die augen öffnen
und die ohren

damit sie sehen
die erde
die schützenswerte
die geschöpfe
die die chance hätten
menschen zu werden

rosadora

es ist ein älteres gedicht – doch ist es aktueller denn je. MENSCHEN ZU WERDEN – das ist es doch. es wäre die rettende massnahme…

ANNA BOGHIGUIAN…

DOCUMENTA 13 KASSEL – anna und rosadora…

Anna Boghiguian erhält den Wolfgang-Hahn-Preis 2024

Bakargiev ist  die Gastjurorin, die Anna Boghiguian als Wolfgang-Hahn-Preisträgerin ausgewählt hat. Sie sagte zu ihrer Entscheidung: „Anna Boghiguian ist erst in den letzten zehn Jahren international bekannt geworden, so dass dieser Preis nicht für ein Lebenswerk, sondern für eine hochaktuelle Künstlerin vergeben wird. Sie ist ganz und gar zeitgenössisch in ihren Themen und in den Verbindungen, die sie durch ihre Lektüren, Reisen und Internetrecherchen zwischen historischen Geschichten und politischen und ästhetischen Diskussionen unserer gegenwärtigen Welt zieht.“

schon auf der d13 faszinierte mich ihr fundamentaler und ausgefallener KUNSTSTIL.wie viele frauen wird sie mit ihrem werk erst spät   b e r ü h m t. an den oft so ausgefallenen und aussergewöhnlichen stil von der kunst der frauen gewöhnt man sich langsam  aber immerhin. ihre bilder fesseln mich durch ihre lebendigkeit. bleibt zu hoffen, dass sie den weg zur nächsten documenta noch einmal finden wird und sie nun schon einen platz einräumt, der ihr eine größtmögliche aufmerksamkeit gewähren wird.

rosadora

 documenta 13

anna boghiguian glaubt, dass das seelenleben der menschen durch das gefüge der städte geprägt ist, dass das selbst von den mauern der kulturellen konstrukte bestimmt wird, die die städte füllen. ausserhalb dieser mauern ist man ein freier mensch.

annas geschichten erzählen geschichten, die persönliches und politisches vermischen und zwischen vergangenheit, gegenwart und der mythologischen zeit wechseln, um die ´faktizität´ zu dekonstruieren und sie in poesie zu verwandeln.

aus dem begleitbuch

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DIE SCHÖNEN DER NACHT…

Cydalima perspectalis / Buchsbaumzünsler

DIE SCHÖNEN DER NACHT
 
NACHTFALTER gehören eindeutig zu den SCHÖNEN
da ich ihnen selbst nicht mehr hinterher kann, bin ich froh über jeden falter – tag- oder nacht – der zu mir findet, mich aufsucht in meinen heiligen hallen. wenn ich wählen müßte zwischen tag- oder nachtfalter käme ich in schwierigkeiten.
sind die tagfalter in ihrer farbigkeit etwas ausgeprägter, ja lauter fast, bestechen die nachtfalter mit feinsten nuancen und leiseren tönen, was mir sehr gefällt.
heute – nein gestern schon – kam dieser buchsbaumzünsler (was bitte ist ein ZÜNSLER) zu mir, übernachtete auch nicht unbemerkt, und lenkte mich von meinen schmerzen ab, die mich nicht schlafen lassen.
er zeigte sich mir und ich bemerkte ihn erstmals und ich widmete ihm meine ganze aufmerksamkeit. er erzählte mir seine geschichte und dass er zur zeit verfolgt  und gejagt wird, weil er sich den buchsbäumen allzusehr nähert, diese als lebensraum und -baum wählt und schwupps macht man ihm dies zum vorwurf und nicht nur das. man ist ihm dieserhalb hinterher, will, dass er verschwindet und stellt überlegungen an, wie man ihn ausrotten kann.
ausrotten – wie sich das anhört und schwere geschosse fährt man auf, um ihn loszuwerden.
man stelle sich vor, man würde uns – also menschen – ausrotten wollen und wer könnte daran interessiert sein. aber da komme ich auf ein heikles thema – das will ich mir heute abend – fast nacht – nicht antun. also ziehe ich aus mit einem großen plakat darauf steht – LASST DEN ZÜNSLER LEBEN. einfach über-leben, er wird nicht gleich der ganzen welt leid antun und die ERDE WIRD DAS SCHON AUSHALTEN MÜSSEN – wie sie so vieles aushält.
mich hat er für diesen moment abgehalten von meinem schmerz, hat ihn mich vergessen lassen – und das ist doch schon mal was…
 
rosadora

WAS IST DAS – LEBEN…

 

das leben ist eine mohrrübe – weiter nichts, antwortete anton tschechov auf die frage von olga, was das leben sei.

 

wenn ein schriftsteller und arzt diese frage nicht beantworten kann, wieso sollte ich mir dann den kopf zerbrechen und formulierungen finden, die alle nicht stimmen. wenn ichs trotzdem versuche, kommt so etwas heraus wie: das leben ist das, was du daraus machst – oder, das leben ist alles und nichts – das leben ist verheissungsvoll und nichtig, jenachdem – das leben, um im bilde von tschechov zu bleiben, ist eine gurke.
manchmal ist es wie eine grosse pfütze – du spiegelst dich darin, du springst darüber oder fällst hinein. du musst auf sie aufpassen, damit sie nicht austrocknet und verschwindet. so wohl wird es sich mit der welt und dem leben ebenso verhalten, eines tages ist es einfach verschwunden…

rosadora