FRAUNHOFER NEUBAU…

fast genau nach 3 jahren seit dem abbruch des zoll- und verlade-bahnhofs wird mit dem bau des neuen fraunhofer-instituts begonnen.
das ganze gelände wird noch einmal von der dkbg (deutsche kampfmittelbergung) untersucht. die technischen möglichkeiten haben sich in den drei jahren verbessert und heute sind sie präziser – also das ganze noch einmal von vorn und nun richtig…
das grundstück sieht inzwischen aus wie von maulwürfen gehäufelt.

heute darf ich aufs grundstück. der bauleiter der firma otto quast aus siegen erlaubt es und sagt: wenn sie nichts kaputt machen.
der große bohrer fasziniert mich. quast-bauleiter erklärt mir, dass eine pfahlgründung vorgenommen wird und die probebohrung schwierigkeiten mache – etwas klemmt.

ich lerne herrn achhammer kennen, bauleiter vons ganze. der erklärt dann, dass ich mich jeweils bei ihm anmelden muß – wegen der versicherung und so, imfalle mir etwas passieren würde, und so… er kennt mich schon.
ich regele es mit herrn h. bei fraunhofer direkt.

bei der firma quast suche ich mir einen ansprechpartner, der mir die pfahlgründung näher bringt. ich will verstehen, was da passiert…

Pfahlgründung: Sicherer Stand bei nicht tragfähigem Baugrund
Die Pfahlgründung beziehungsweise Tiefgründung kommt bei Baugrund zum Einsatz, der nicht ausreichend tragfähig ist. Wir setzen bei Pfahlgründungen auf das Verdrängerprinzip. Das heißt, der Boden wird am Pfahlmantel verdichtet, sodass je nach Verfahren kein oder nur teilweise Aushub gefördert wird. Ein aufwendiges und teures Entsorgen von Erdreich wird minimiert oder entfällt sogar komplett. Ein weiterer Vorteil: Die Bodenverdichtung sorgt gegenüber klassischen Bohrverfahren für eine deutlich höhere Tragfähigkeit.

https://www.quast.de/bauleistung-pfahlgruendung.html

auf der seite von quast.de schaue ich mir noch einen film dazu an.
ein zweiter bohrer ist noch auf dem weg – ich warte und bin gespannt.

am südwestzipfel des baugrundstücks entsteht eine straße – oder mehrere vielleicht. ich bin neugierig und erfahre, wie frostschutz in das erdreich eingearbeitet wird. die firma STRABAG ist emsig und bewegt ungeheure erdmassen. die firma SCHNITTGER hatte gehäufelt – dem neuen zweck entgegen.
von 2015 bis 2018 gabs ein zwischenspiel – in den drei jahren wartezeit entstand ein fast ausuferndes biotop. pflanze für pflanze habe ich es registriert oder kartiert und konnte es fast nicht glauben, wie manche bäumchen einen wuchs von fast drei metern erreichten. nun muß alles wieder weichen. wohin sie das alles wohl geschafft haben…

noch bin ich hinter oder besser vor dem zaun und zoome mir von den vorbereitungen heran, was mir auf- und einfällt. es ist spannend, wie ruckzuck etwas neues entsteht.

 

der schornstein der alten molkerei – jetzt firma linss – der schon bei meinen abbruchbildern sich vordrängte, ist immer wieder im bild – also mache ich ihn zu meinem neuen wahrzeichen. mit den beiden bohrtürmen – der zweite ist inzwischen eingetroffen – mache ich ein spannendes spiel daraus. ich beziehe sie aufeinander – 1 – 2 – 2 +++ 2 – 1 – 2 +++
2 – 2 – 1 – hänge die wolken noch dazwischen oder darüber – und, nur nicht monoton werden, nicht nur sachlich bleiben – das wäre langweilig und nicht durchzustehen für mich.
aber ich habe ja keinen auftrag, bin freie künstlerin und frei in meinen entscheidungen, was ich aus dem ganzen mache ist mein ding.

 

L E B E N …

 

NUT schluckt die sonne am abend…

…Kannst du die Göttin Nut über uns fühlen, die den Himmel auf Erden hält? Sie sagt „Willkommen zurück.“ Nicht nur willkommen zurück auf der Website, sondern willkommen zurück, wer wir wirklich sind. Wir werden in unseren neuen Körper geboren und sie freut sich, uns wieder zu begrüßen. Sie sagt, dass sie diese Wiedergeburt vor langer Zeit geplant hatte. Ihre Zeitlinie ist viel länger als das, was wir uns heute vorstellen können. Das ist alles in göttlicher Ordnung. Dies war etwas, das vor langer Zeit in den Sternen geschrieben wurde. Es stand geschrieben, dass wir zurück in unsere Körper gehen würden, an diesen Ort zurückkehren und wieder von der großen kosmischen Mutter genährt werden würden. Es gab nie den geringsten Zweifel, dass wir nicht zurückkommen würden. Sie war geduldig und sie wartete auf uns. Alle Hathoren in diesem Gebäude sind auch ihre Kinder. Die Hathoren hatten Kinder, und ihre Kinder hatten Kinder, und ihre Kinder hatten Kinder, und hier sind wir wieder. Aber die Sternältesten kamen herein und sagten: „Bist du nicht froh, dass du ihre Ohren nicht hast.“ (Gelächter) Ich weiß es nicht. . . Ich denke, es wäre irgendwie cool. Du kannst immer darauf zählen, dass die Sternältesten einen Witz machen.

NUT gebiert die sonne jeden morgen neu…

 

Göttin Nut ist die Schöpferin aller Himmel und Erde. . . von allem Leben. Von der Sonne in ihr hat sie die Menschheit geboren und tut es immer noch. Also fragte ich sie: „Was hast du heute für uns? Welche Weisheit würdest du uns gerne anbieten? „Und ihre Antwort ist nur ein Wort. . . „Leben. Ich biete dir LEBEN. „Ihre Definition von Leben ist viel anders als unsere Definition von Leben. Leben bedeutet wach! Wir haben geschlafen. Das ist kein Leben. Wir waren nicht den ganzen Weg hier. Das ist kein Leben. Das Leben ist hier den ganzen Weg. Das Leben ist total wach. Sie bietet uns also LEBEN an. Sie fragt uns: „Bist du bereit, jetzt in dein Leben zu treten?“ Sobald sie dies zu deinem wahren inneren Selbst gesagt hatte, antworteten alle: „Absolut!“ Wir sind bereit, in unser LEBEN einzusteigen. Sie lädt uns ein, voll in unser Leben zu treten. Allerdings zeigt sie mir nicht so recht, wie ich das machen soll.

textauszug aus: Aluna Joy Yaxk’in. .

mein besuch im jahre 1996

BAHNHOF LADESTRASSE…

DEM ENDE ENTGEGEN…

es schreit zum steinerweichen – hält die ohren steif – und dotzt mit aller kraft die großen brocken klein. die werden verladen und weggeschafft zum recycling. der wegschlepper hat eine nummer aus dem kasseler raum.

der kasseler hauptbahnhof, der längst nur noch die nähere umgebung bedient, ist noch immer als hauptbahnhof beschildert. die unterkellerung muß noch dran glauben, dann ists gut – für was auch immer.
immer wieder reizvoll die freigelegten zerreiß- und abbruchbrocken vor dem nun freiwerdenden blick. ich halte jede kleine veränderung fest. das erinnern ist jetzt schon nicht ganz leicht.

ein einziger arbeiter baggert sich durch den bruch, lädt schaufel für schaufel alles auf einen riesigen lastwagen, eigens für solche transporte vorgesehen.
mir geht es noch nicht wieder so gut, als dass ich ihm oder ihnen, es sind zwei riesenteile, nachfahren könnte, um zu sehen, wo alles receycelt wird. frage demnächst einfach, wo sie abbleiben mit dem zeugs…
was mit dem freigeräumten platz passiert, weiß ich auch noch nicht.

BAHNHOF LADESTRASSE II…

achja: DIE BUDE IST WEG…

habe ich ja auch noch nicht – also, die bude ist weg. gelauert habe ich eine ganze lange weile und zum schluß noch am boden gesessen und gefilmt, wollte zeugin sein für das, was war und das, was nun nicht mehr ist. ich nenne sie buden an der ladestraße.
2014 wurde die andere seite abgerissen – also der zoll- und verladebahnhof – nun der rest.
lange standen sie leer – die buden – lange liegt es brach – das abgerissene land, auf dem fraunhofer bauen will. gut ding will ja weile haben – aber da ist sicher nicht die wartezeit – also die leere zeit – gemeint.

der vordere, weiß angestrichene, teil der buden soll stehen bleiben. wozu denn das – ich bin neugierig. niemand weiß von was, auch die bahnhleute nicht. der abgerissene teil war wie ein schutzwall – schall- und sichtmäßig. waren es seinerzeit die autos, die waren brachten und holten, sind es jetzt die kvg-busse, die am ende der ladestraße ihren rast- und wendeplatz haben. mit einem höllentempo fahren sie ein und wieder aus und teilweise im minutentakt. gar nicht so fraunhofer-like und mir gefällt das auch nicht.
am freitag ist die abrissfirma nicht da – da könnte ich… aber ich liege schmerzgeplagt auf meinem sofa – ischias hat mich im griff. laufen war nicht und sitzen war nicht und somit schreiben war auch nicht und erst heute…
wenigstens habe ich das letzte mäuerchen, das letzte fenster, den letzten stein noch im bild festhalten können. wenn sie wüßten, diese dinge, dass ich sie gebannt habe für immer, wären sie vielleicht nicht so traurig und eher neugierig auf das, was nun kommt, zwar voneinander gegtrennt, aber wer weiß…

BAHNHOF LADESTRASSE II…

WEG VOM FENSTER…

hier müßte es eher heißen: die fenster sind weg. als ich die bilder machte, waren sie noch da – nun sind nicht nur die fenster weg, die ganze bude ist weg…

etwas festhalten, wie es war – die erinnerungen unterstützen. und ich sage mir – das ist kunst. im bild sind sie schöner als in wirklichkeit – die fenster. die erinnerung sagt noch einmal etwas anderes – die verblasst eher. nicht unbedingt – sie kann auch schönreden. was ist schon erinnerung – und warum sollen wir uns an so etwas erinnern – fenster in den hallen der ladestraße… bleibt – warum sollen wir uns überhaupt erinnern – sollen wir das?

BAHNHOF_LADESTRASSE II…

ZWISCHENBERICHT…

dass es der zweite teil des BAHNHOFS der VERSCHWUNDEN IST und den anschluß von 2014 ist, macht es mir wichtig, dass ich auch diesen teil fotografisch festhalte. LADESTRASSE II heißt, dass es der gegenüberliegende gebäudezug war vom ZOLL- UND VERLADEBAHNHOF.

BAHNHOF_LADESTR5ASSEII_BAGGEREI_ABRISS_13.111BAHNHOF_LADESTR5ASSEII_BAGGER II IM GEGENLICHT_13.113war kann ich nun sagen, fast ist er ganz verschwunden bis auf einen rest der heute nicht mehr entsorgt werden kann, weil die telekom den strom noch nicht abgeschaltet hat, wie mir der aufsichtsmensch von der firma bock erzählt. auch wissen sie noch nicht, wo sie den bauschutt endlagern können.
na, das sind ja keine kleinen probleme. ich erwische grad noch kurz vor 12 uhr ein paar fotos, denn glockenschlag zwölf, nein fünf minuten vor zwölf, macht sich der baggermensch auf in die mittagspause.

BAHNHOF LADESTR. II_GÖTTIN IN STEIN_P1700220 BAHNHOF_LADESTR5ASSEII_STEINKUNST_13.11 BAHNHOF_LADESTR5ASSEII_STEINRESTE MIT HINTERGRUND_13.112ich fahre später noch mal vorbei, schlage mich auf die kunstseite – STEINBROCKEN könnte ichs nennen – traue mich mal wieder nicht auf die rückseite der abrissstelle, denn da darf ich ja auch nicht hin. vielleicht kommt meine zeit noch, wenn die gefahr der herabstürzenden hausteile gebannt ist.
weil ich ja eigentlich nur mal vorbeischauen wollte und nun doch ein paar passable fotos gefangen habe, bin ich ganz zufrieden.
BAHNHOF_LADESTR. II_FENSTERREST_P1700291 BAHNHOF_LADESTR. II_GITTERGLASFENSTER_P1700289

SOPHIE HENSCHEL – 1841-1915…

11. november 1841 – 2017 also heute…
SOPHIE HENSCHEL_PORTRAIT_ROTES KREUZ_P1690965
ich stelle mir vor, eine frau wie ich – 100 jahre vor meiner zeit – und was sie da zu stemmen gehabt haben muß.
unternehmerin, reichste frau im kaiserreich, und 18 jahre allein die geschicke der firma, der familie und der damaligen gesellschaft geleitet.
ihre direktoren ließ sie zu sich nach hause kommen zu den besprechungen. nie stellte sie sich als frau in der damaligen männergesellschaft in den vordergrund. das war taktik – sie wußte warum sie das tat. so ließ mann sie gewähren. respekt hatten zwar alle für sie, aber die rechte bedeutung ihres tuns und wirkens konnte doch niemand ermessen.

um mir das alles zu verdeutlichen, habe ich ihre wirkstätten genauer betrachtet und fotografiert und finde, dass sie noch heute eine ausnahmeerscheinung unter den frauen (und erst der männerwelt) sein würde, oder besser ist.
es gab und gibt keine so große weltfirma, die von einer frau geleitet und zum erfolg gebracht wird und schon gar keine, die so fürsorglich und sozial mit ihren arbeitern und angestellten umgegangen wäre.
viele soziale einrichtungen, die sie gefördert und in die wege geleitet hat, gäbe es ohne sie heute gar nicht. sie hat die ausbildung von mädchen und frauen gefördert und hat das in ihrer zeit noch nicht mögliche frauenstudium befürwortet, mittel für die ersten gymnasialkurse für mädchen in kassel gespendet, gute bedingungen für die rotkreuzschwestern, eine schwestern-pensionskasse, neben gravierenden strukturveränderungen der firma, vorsitz des vaterländischen frauenvereins zu cassel – nein, ich kann es gar nicht alles aufzeigen, was sie bewirkt hat in ihrem frauenleben, in einer zeit, in der frauen im allgemeinen noch keine große beachtung fanden.
also, ein hindenken, ein zurückdenken und  – HEUTE IST IHR 176. – einhundertsechsundsiebziger – GEBURTSTAG.
und – meine bewunderung…
ROTES KREUZ_HAUS_P1690959das rote kreuz steht heute vor mir in seiner ganzen größe und bedeutung, der park, die wohnanlage.

ROTE KREUZ_PARK MIT SIEDLUNG_LI_RE._01.11_bearbeitet-1 ROTE KREUZ_PARK VORWÄRTS UND RÜCKWÄRTS__01.111 ROTES KREUZ_MIT BRUNNEN IN DEN PARK_P1690968

das sophie henschel haus auf dem unigelände

SOPHIE HENSCHEL HAUS UNI_15.10 SOPHIE HENSCHEL HAUS UNI_HOCHKANT_GANG_15.101

der sophie henschel-brunnen vor dem rauthaus

SOPHIE BRUNNEN GANZ_P1690155SOPHIE BRUNNEN AM RATHAUS_LI-P1690157 SOPHIE BRUNNEN AM RATHAUS_12.10

 

LADESTRASSE II_ABBRUCH 2017…

ALTER HAUPTBAHNHOF NORD…

BAHNHOF LADESTRASSE II_vorwärts mitte rückwärts_07.11nicht so spektakulär wie der abbruch des ersten teiles der ladestraße 2014 – zoll- und verladebahnhof – ist der übriggebliebene. die besitzverhältnisse erschwerten und erschweren das vorankommen und  das nichtvorhandene geld – stadt, bahn, fraunhofer – teilen sich diese verwegene gegend.

BAHNHOF LADESTRASSE II_BACKER_07.112 BAHNHOF LADESTRASSE II_ROTER BACKSTEIN_07.111erledigte die abräumarbeiten 2014 eine hiesige firma – denis schnittger – ist die vergabe diesmal an eine auswärtige firma gefallen – stock, hünfeld.
vier wochen soll das ganze dauern – erzählte mir der bauleiter der firma. ganz schön schnell vorangekommen ist der abreissbagger. nicht so aufreisserisch wie bei schnittger auf dem doch viel größeren gelände, mit den vielen tätigkeitsfeldern, ist dieser teil.

BAHNHOF LADESTRASSE II_HAUSREST MIT HALBEM DACH_07.113BAHNHOF LADESTRASSE II_DEFEKTES BAGGERMAUL_07.115das ganze zu dokumentieren und mein eigener anspruch, meine kunst auch noch zu bedienen, ist ganz schön verwegen. genauer gucken, geduldiger gucken, fantasievolles blicken – naja, irgendwie ist das zu machen und mit jedem besuch wird es spezieller. die ästhetik ist ja immer vorhanden, aber sie aufzuspüren ist jeweils wieder eine neue herausforderung. auch der geringste abfall hat noch seinen reiz und auch seine ästhetik, wenn ich ihn ins rechte licht rücke. ich schenke ihm meine aufmerksamkeit und registriere die veränderungen, das ist eine enorme anstrengung.

BAHNHOF LADESTRASSE II_RÜCKSEITE_07.114BAHNHOF LADESTRASSE II_KUNST_STEINRESTE_07.116die veränderungen erzählen spannende geschichten und mein geist hüpft hin und her, um sie zu finden.
die liebe zum detail und die überzeugung, dass es nichts geringfügiges gibt, dass alles seinen stellenwert hat, vermag das. das ist eine innere einstellung – meine.

MEMORIAL ASCHROTTBRUNNEN KASSEL…

KÜNSTLER: HORST HOHEISEL…ASCHROTTBRUNNEN VON OBEN_RATHAUSTREPPE_P1690254

Sinkt jeder Tag hinab in jeder Nacht,
so gibt’s einen Brunnen,
der drunten die Helligkeit hält.
Man muß an den Rand
des Brunnendunkels hocken,
entsunkenes Licht zu angeln
mit Geduld.

Pablo Neruda

hinabgesunken ist der brunnen
sein rauschen
läßt vergangenes
wieder auflauschen
er zieht mich in bann
ruft ins erinnern
was den judenhass
tilgt auf ganz eigene weise

reingewaschen die schmach
stunde für stunde
gefangen das entsunkene licht
in den stunden des tages
in den herzen der menschen
denen die trauer
niemals abhanden gekommen ist
brunnendunkles schweigen

rosadora

ASCHROTTBRUNNEN_KL. TAFEL_P1690214

 

ACHROTTBRUNNEN_8 TEILE_P1690228 ACHROTTBRUNNEN_WASSERROST_P1690234

Negative Memorial Aschrottbrunnen (Kassel 1986/87);

ich stehe auf dem brunnenrost als es zu rauschen beginnt. es reißt mich mit, augen und gedanken können sich nicht beruhigen. im schlaf finde ich keine ruhe. die vorkommnisse der vergangenheit halten mich wach. erst jetzt schafft das vergangene durchbruch zu mir.
als junge frau kenn ich den brunnen als blumenschüssel, dann wieder als brunnen und später als diese umgekehrte form von horst hoheisel. so viele erinnerungen habe ich, dass ich sie gar nicht bündeln kann. und die zerstörung von kasseler bürgern, die ihn einen judenbrunnen nannten, weil der mensch, der ihn erbauen ließ, ein jude war, habe ich lange nicht gewußt. er wurde 1939 von nationalsozialistische Aktivisten demoliert – 1939 wurde ich grade mal geboren.
heute springen kinder darauf herum, schäkern mit dem rauschewasser und können nicht ermessen, was es wirklich ist. auch für die erwachsenen ist es nicht leicht. rings um den brunnenrand stehen jahreszahlen, aber ohne erklärung ists nicht zu knacken. das könnte vielleicht einen denkanstoß geben – eine tafel auf der steht, was los ist…

ACHROTTBRUNNEN_EINZIGER LAUF_P1690236 ASCHROTTBRUNNEN_4 WASSERRINNEN_13.101 ASCHROTTBRUNNEN_8 BESCHRIFTUNGEN_12.10 ASCHROTTBRUNNEN_8 RICHTUNGEN_13.10

Aschrottbrunnen [Kassel 1985]
1908 stiftete der Kasseler Unternehmer Sigmund Aschrott zum Neubau des Rathauses einen Brunnen und beauftragte den Rathausarchitekten Karl Roth, diesen zu entwerfen. Es entstand eine 12 Meter hohe zwölfstufige Pyramidenskulptur auf einer Sandsteinfassung. Über dreißig Jahre lang prägte der Brunnen das Kasseler Stadtbild und wurde zum Symbol des Bürgerstolzes. Am 9. April 1939, vor dem Reichskriegertag, demolierten nationalsozialistische Aktivisten den »Judenbrunnen«. Sigmund Aschrott, der Stifter, war Jude. Das Brunnenbecken blieb zurück, wurde als Blumenbeet genutzt, bis man es 1963 durch einen Springbrunnen ersetzte. Nichts erinnerte mehr an den Obelisken, den Aschrott seiner Heimatstadt gestiftet hatte. Der so unschuldig anmutende Springbrunnen war zum Zeichen des Vergessens geworden. In den frühen 80er Jahren nahm der Erinnerungsdiskurs eine neue Wende, einige begannen hinzuschauen auf das vom eigenen Land verursachte Grauen, und so kam es zu dem Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Brunnens. Es entspann sich eine heftige Diskussion. Am liebsten hätten viele Bürgerinnen und Bürger es gesehen, wenn der alte Brunnen in seiner ganzen Pracht wieder errichtet worden wäre. Unbeschädigt auferstanden wie der Phönix aus der Asche. Horst Hoheisels Idee dagegen war eine ganz andere. Sein Entwurf sah vor, den Brunnen als verlorene Form spiegelbildlich in den Rathausplatz abzusenken. So wurde die Pyramide zum Trichter, in den das Brunnenwasser sich geräuschvoll hinabstürzt. Das bis ins Grundwasser reichende Spiegelbild des einstigen Brunnens wurde somit zum Zeichen des Bruchs, der Leere, die entstanden war und die nicht mehr zu füllen ist. Als offene, nicht heilende Wunde ist der Brunnen heute ein Ort der negativen Präsenz, mitten in der Stadt vor dem Rathaus. Es ist nichts zu sehen, das Denkmal fehlt. Und wie Hoheisel selbst schreibt: »Das eigentliche Denkmal ist der Passant, der darauf steht und darüber nachdenkt, weshalb hier etwas verlorenging.« 
[Aus: Eva Schulz-Jander Erinnerung hat keine Gestalt – Katalog Zermahlene Geschichte]