manchmal kommt mir ein begriff, den ich nicht eindeutig einordnen kann, so jetzt gerade dieses ‚vergriffen’.
ein buch ist vergriffen – das ist ein buch, das nicht mehr zu haben ist, aus, weg. und ich hätte es so gerne gehabt. und wie alles, was man nicht haben kann, hinterlässt es eine lücke und einen schmerz, als hätte man etwas verloren.
heute kann man bücher on demand drucken lassen, vielleicht nicht alle, aber Reprints und Nachdrucke vergriffener Werkel. es ist dann eine einmalige ausgabe – nur für mich. ich kann es, das buch, nicht erst in händen halten und betasten und begucken und beschnuppern, ob es mir zusagt. ich bestelle es und ich muss es nehmen, wie es zu mir kommt. wichtig ist dann nur, dass ich das buch noch bekommen konnte. in dem falle wird es ein buch sein, an dem mir gelegen ist, das ich unbedingt lesen muss. und wie mit fast jedem buch geht dann die erwartung und die neugier den bach hinunter, weil… naja, es war wiedermal ein buch, was ich nicht unbedingt hätte lesen müssen. auch nicht, obwohl es mir empfohlen wurde und mit nachdruck. letztens erging es mir so mit ‚notas’, von dem mir bis dahin unbekannten philosphen nicolas gomez davila mit seinen ‚unzeitgemässen gedanken’. ich hatte es in der buchhandlung des hamburger literaturhauses in die hand genommen und darin mich anspringende gedanken gefunden. ich legte es aber noch einmal weg, um erneut zu schauen – und wieder sprangen sie mich an, die gedanken in worte verpackt und zum buch geprdnet. zuhause war ich dann enttäuscht, dass sich in einem 440 seitigen buch die springenden gedanken verliefen, wie in einer grossen bibliothek.
da hatte ich mich in der tat ‚vergriffen’. da ärgerte mich auch der preis von vierunddreissig euro enorm.
das ‚vergreifen’ verliert sich nicht in einem langen leben. immer mal wieder ist da etwas, das blendet und lockt, und dann… langes gesicht, mal grosse und mal weniger grosse enttäuschung. die aber stellt sich immer ein, wenn man sich ‚vergreift’. sie macht einem klar, wie unaufmerksam, unbedacht und überschwenglich man oft ist – und das bis ins… na, das sagte ich ja schon.
ich habe mich vergriffen im ton. auch da ist es meistens das unaufmerksame, unbedachte und überschwengliche, das sich vordrängt. manchmal gemischt mit etwas wut im bauch. es sprudelt heraus wie aus einem vulkan und ist nicht wieder zurückzunehmen. ich kann mich entschuldigen, doch heraus ist heraus und die verletzung geschehen. ein wort, ein satz kann treffen wie ein geworfenes messer. es hätte diese gelegenheit so zu treffen nicht haben dürfen. ich hätte es gehörig beim schopfe nehmen und ermahnen sollen, sich zu mässigen, bevor es den wortkanal hinaufstürmte. vielleicht ist es, ich will mich nicht entschuldigen, eine sache des temperaments. die sache mit dem temperament ist ebenso vieldeutig, wie das wort ‚vergriffen’. in guter absicht ist es durchaus erwünscht, im anderen falle, naja, ‚dem oder der sind mal wieder die pferde durchgegangen’.
ich übe täglich, mich zu mässigen und geduld zu üben und abzuwarten mit dem, was ich sage, damit ich mich nicht – mal wieder – im ton vergreife.
die andere sache ist natürlich die, dass ich mich vergreife, um zu verletzen. das ist gemein und bewusst eingesetzt. aber menschen haben emotionen und die sind nicht immer zu zügeln, wie ein reitpferd in seiner bahn.
ich wills dabei belassen und den ausdruck des ‚vergreifens’ nicht überdehnen. aber es sind, noch so viele möglichkeiten des ‚vergriffenen’ in der welt, dass sie mir auch nicht sofort einfallen wollen. aber auf die spur gesetzt machen sie mich neugierig.