PIERRE HUYGHE…

Europas höchstdotierter Kunstpreis, der Roswitha-Haftmann-Preis, geht erstmals an einen Franzosen. Der Stiftungsrat der Roswitha-Haftmann-Stiftung vergibt den mit 150 000 Franken dotierten Preis dieses Jahr an Pierre Huyghe. Die Übergabe findet heute im Kunsthaus Zürich statt.

Der im Jahr 1962 in Paris geborene Pierre Huyghe fand zuletzt mit seiner Installation aus Pflanzen, Objekten und Tieren auf der dOCUMENTA 13 weltweit Beachtung.

nach einem jahr steht der kompostgarten (kompostierungsanlage der stadt kassel) in schönstem grün
nichts erinnert mehr an die d13
die psychodelischen pflanzen wurden entfernt
die bienenfrau abtransportiert und
die bienen in ihren heimatort witzenhausen zurückgeholt
die hunde human und senior wurden von ihrer gastfamilie adoptiert

die grösste fläche wird von brennnesseln bedeckt
sie dominieren und sind die heimlichen siegerinnen
in diesem frühjahr entdeckte ich bis jetzt über 25 pflanzenarten
die gräser nicht eingerechnet

der ort weiss von seiner berühmtheit nichts
er wird weiterhin für seine bestimmung existieren
kompostieren

SCHWAN NUN ALLEIN…

mirko fragte mich
was mit dem partnerschwan sei
schwäne bleiben ein lebenlang zusammen

ich fand ihn gestern im schwanenteich
er stocherte in dem schwimmenden überrest des kampfes
der wohl stattgefunden haben muss
und vielleicht auch den jungschwänen das leben
gekostet hat
kleine federn erzählen davon
er umkreist den ort
als würde er ein trauerritual abhalten
schwäne können sehrwohl trauern

nun zieht er allein seine runden
andere schwäne habe ich nicht entdeckt
der teich ist bevölkert von gänsen aller colleur
und die schwaneninsel ist zur gänseinsel geworden
warum das so ist
werde ich erkunden

futter für den schwan habe ich schon im gepäck
als trost für ihn – oder für mich

JUBILÄUM – EIN JAHR KOMPOSTGARTEN…

heute vor einem jahr habe ich in
pierre huyghes „untilled“
mein erstes foto gemacht
ein jahr – der kreislauf dreht sich und dreht sich…

SCHWANENGESANG

der ring
ich erinnere mich
da war der ring aus metall
immerwieder begegnete er mir
er wird zum zentrum

die schnecke
ich fand die leere schnecke
heute
ich nahm sie mit
und gab ihr den platz im kreis
sie spiralt das ganze in
richtung leben

die schwanenfedern
ein schwan musste sein leben lassen
wie kam er in das kompostloch
wodurch oder durch wen
verlor er sein leben
mehreremale bin ich darüber
hinweggestiegen
heute sammelte ich sie ein
und umgab damit den ring
deutlich spüre ich den flügelschlag
es fliegt mich

die anordnung habe ich erst
im moment des auslegens
des kleinen kunstwerkes vorgenommen
es geschah wie selbstverständlich
wie in tance
nicht gewollt
es ereignete sich

die dinge haben für sich allein
eine starke symbolik
die gewählte anzahl der federn ebenfalls

der indianische anschein
berührt etwas in meiner seele
ein kraftsymbol
durch das kreuz wird es
verdoppelt und somit verstärkt

man stelle sich vor
ein schwanenkreuz
es singt
ich höre schwanengesang
ein schwanenpaar singt
und ruft seine sieben kinder
hier sind alle wieder vereint
ein symbol der liebe

von innen nach aussen

das schneckenhaus (spirale)
die schnecke ist u. a. ein symbol
für langsamkeit bedächtigkeit
für sensibilität vorsicht
empfindlichkeit
und fruchtbarkeit u.v.m.

die spirale
ist das symbol des lebens und des todes
symbol der seelenreise
uraltes symbol der menschheit

der kreis
der kreis ist ein symbol für ganzheit
kein anfang und kein ende
für gleichgewicht harmonie
ausgewogenheit und kosmos

sie sieben (3 + 4) geistiges und seelisches prinzip
und körper – das menschliche prinzip

die 4 ist die zahl für die elemente
für die materiellen dinge
siebeneck (gräber – ewige ruhe)

die drei
die triade ist die zahl des ganzen
insofern sie
einen anfang
eine mitte
und ein ende
hat

die zwei
zwei – die kraft der gefühle
die zwei
ist das lachen und das weinen

die neun
sie ist eine dreifache triade
und steht für vollendung und erfüllung
den anfang und das ende

ALLESINALLEM…

als ich ihn fand schwamm er in diesem wasserbecken
ich dachte nicht dass ich ihn retten müsste aber ich fischte ihn heraus
dieser klassische schädel aus wurzelholz hatte es mir angetan
er sollte einen platz bei mir zuhause haben
wieder eines von diesen allesinallem-dingen

das auge blickte mich fragend an
der hinterkopf hatte einen touch von diesen ägyptischen prinzessinnen
um echnaton herum mit den ausgeprägten hinterköpfen

ich liess einen eisenstiel mit fuss bauen
auch sollte der kopf geölt seine beste maserung zeigen

irgendwie ging das daneben – das mit dem ölen ist ihm nicht bekommen
nun habe ich versucht das öl wieder abzubekommen
mit aceton und heissem wasser
ich hoffe dass ihm das nicht allzu weh getan hat
habe ich versucht
den alten zustand wieder herzustellen
was nicht gelang
aber vielleicht sind die erinnerungen immer anderer natur

nun hat er schon einige kollegen bekommen
wie man in der schweiz sagen würde
und meine wohnung wird so zum museum
zur besichtigung frei gegeben
komm mal vorbei

KOMPO…

KOMPOSTGNOM
ODER DER MIT DEN VIELEN GESICHTERN

anfang april sah ich ihn an einem baum lehnen so als würde er auf mich warten
in den vergangenen monaten fiel er mir schon auf
auch zur dOCUMENTA 13 war er anwesend
seine neugier ließ aus seinem kopf einen zweiten wachsen
und nun muss er den mit seinem arm abstützen
fast hätte es ihn auseinandergerissen
so viel war es was in ihn eindrang und was er zu hören und zu sehen bekam

ein ganzes jahr ist es her dass die ersten arbeiten für die dOCUMENTA 13 begonnen haben
dieser einjährige hat so viel erlebt dass er beschlossen hat
es müsse für sein ganzes leben reichen
zu hektisch
zu aufregend und laut
zu viel gerede
das gerede wird in zukunft unterbleiben
soviel steht fest
aber ob die bagger und bulldoggen ihn verschonen werden
das ist nicht sicher
auch die gärtnerinnen und gärtner mit ihrem spitzen gerät
könnten an ihm schaden nehmen und ihn werfen
wohin immer sie wollen

dass ich ihn mitnahm kam ihm gerade recht
ich klemmte ihn mir unter den arm und fotografierte noch dies und das
wechselte ihn mal von links nach rechts
gab ihn dann marlon damit er ihn mir trage bis ich fertig
wäre mit meiner arbeit

human die weisse dOCUMENTA-podenco-hündin
schnupperte an dem gnomenkerlchen
wäre fast der täuschung erlegen dass es ein knochen sei
stellte aber schnell den irrtum fest

zuhause legte ich ihn erstmal zum trocknen in mein büro
wo findus mein stubenkater die gleiche erfahrung machte wie human
nach ein paar tagen duschte ich ihn mit härterem strahl ab
veränderungen treten ein nach wasser und trockenheit
immer sind sie überraschend

heute dann war er mein fotomodell
aber das gesicht das ich so deutlich sah
wollte sich nach der dusche nicht mehr so deutlich zeigen
sehen und sehenwollen sind zwei ganz verschiedene dinge
dass er verschiedene gesichter hat ist sicher
und dass sich mir immer mal wieder ein anderes zeigen wird ist klar
so klar wie auch wir nicht nur ein gesicht haben

GESCHICHTEN AUS DEM KOMPOSTLOCH III

FAST KOMPOSTIERT

aber nur fast
wiederspenstig stiel blatt und busch
starren sinnes die brennesseln
obwohl neue sich anschicken
das terrain zu erobern
schon oder erst jetzt

brennessel starr- und leichtsinn
beherrscherin des ortes
paradiesisch hartnäckig
sich haltend an eigenes gesetz
neugierig in neuer gier
mir blickhalt und grosse lust

nachtschattengewächs
brennessel distel und springkraut
sehne neues herbei
nicht vergessen vergangenes
verbinden mit kommendem
das neue jahr mit dem alten

wiedersehen birgt erkennen
neusehen macht neugier riesengross
hinter dem hügel weisse federn
fuchs ich sehe dich
entenpaar vertrauensvoll
in schlammpfütze

GESCHICHTEN AUS DEM KOMPOSTLOCH II…

FREMDE WESEN IM KOMPOSTLOCH

wesenstreu
dieses kompostloch
immer wieder gestalten
neue und ganz neue
am rande und auch mittendrin
schlamm überall schlamm

erst fällt ein
menschliches wesen hinein
na fast jedenfalls
und dann ein kleiner stier
im schlamm liegend
besonders süchtig

die weisse podenco-hündin
schnüffelt spürt und spurt
einen weg um den schlamm herum
ist auf der anderen seite nun
noch ehe das menschliche wesen
seine beine gerettet hat

den vom rande
am baume anlehnenden
nehme ich mit
immer wieder die nähe
zu meinem paradiesort
bezeugend

GESCHICHTEN AUS DEM KOMPOSTLOCH I…


ausdrucksvolle ergebenheit


doch ja – ich kenne dich


begrüssung mit küsschen


vertrauensvoll aus der hand

ABBRUCHARBEITEN (ZUSAMMENBRUCH UND WIEDERAUFBAU) MARLON MIDDEKE

marlon schreibt mir
er baut die hütte ab
ich also hin
wiedersehensfreude – grosse
human die weisse podenco-hündin
erstmal scheu

marlon schraubt
und schraubt und schraubt
dann klopfen und treten
biegen und brechen
ich halte die wände
sammle die schrauben

human schaut skeptisch
ist ängstlich weicht zurück
erkundet den neuen alten ort
beschnuppert dieses und jenes
ist sehr nervös und gribbelig
läuft mit rosa übern acker

nach fast zwei stunden
sie hat gesch… und gefressen
hat geschaut ist gelaufen
legt sie sich auf einen hügel
so als hätte sie
ihn endlich wiedererkannt

die hütte ist kurz und klein
erst war sie auch nicht gross
die teile am boden
wehmut aus erinnertem
gern hätte ich mit marlon
hier eine ausstellung initiiert

die mhk erlaubt es nicht
spielverderber
wir suchen einen anderen ort
neu
immer alles neu
unverzagt