EINMAL GESTORBEN SEIN…

CHARLOTTE SALOMON
LEBEN? ODER THEATER?
EIN SINGSPIEL

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DIES EREIGNETE SICH IM JULI 1940 AUF DEM WEG VON EINEM KLEINEN STÄDTCHEN IN DEN PYRINÄEN NACH NIZZA. EIN JAHR SPÄTER INDEM DIE WELT IMMER MEHR ZERFIEL – WÜRDE AUCH DER GEIST DES MERKWÜRDIG DOPPELSEITIG VERANLAGTEN GESCHÖPFES IM ZUSAMMENSEIN MIT DEM VOM TRAGISCHE VOM SCHICKSAL VERFOLGTEM GROSSVATER – IMMER MEHR ZERMÜRBT. UND DA DIES IN DIESER ZEIT MIT ALLEN MENSCHEN EBEN SO WAR SO DASS NIEMAND MEHR IMSTANDE

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HINEINZIEHEN LASSEN UND BLIEB ALLEN MIT IHREN ERLEBNISSEN UND DEM PINSEL. DOCH AUF DIE DAUER KONNTE EIN SOLCH TAGNÄCHTLICHES LEBEN SELBST BEI EINEM DAZU VERANLAGTEM GESCHÖPFE NICHT ERTRAGEN WERDEN. UND SIE SAH SICH VOR DIE FRAGE GESTELLT SICH DAS LEBEN ZU NEHMEN ODER ETWAS GANZ VERRÜCKT BESONDERES ZU UNTERNEHMEN. GÜNSTIGE VERHÄLTNISSE KAMEN IN DEM MENSCHEN, DEM ZUM DANK DIESES WERK GEWITMET IST – DAZU, DASS SIE SICH SICH ETWAS AUSRUHEN KONNTE UND ZU GLEICHER ZEIT VOLLKOMMENDSTE GE

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SIE VIELLEICHT VOR EINEM SELBSTMORDE BEWAHREN KÖNNTE, INSOFERN ALS SIE SICH AN EINEN IHRER HAUPTSÄTZE DIE AMADEUS STETS BEREIT WAR – VON SICH ZU GEBEN erinnerte LIEBE, ERKENNE DICH ERST SELBST, UM DEINEN NÄCHSTEN ZU LIEBEN UND DANN MAN MUSS ERST IN SICH GEGANGEN SEIN – IN SEINE EIGENE KINDHEIT, UM AUSSER SICH GEHEN ZU KÖNNEN. UND ER MEINTE, DASS DAS KIND DIE MASCHINE DES MODERNEN MENSCHEN SEI – ALS MITTEL – AUSSER SICH ZU GEHEN ALS LETZTES KAM IHR DAS BERÜHMTE LIEBESPAAR UNTER EINEM BADEMANTEL – DAS SO WIE EIN MENSCH FUNGIERTE – IN DEN SINN

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ZWEI DINGE – ERSTENS DASS DER DABERLOHNSCHE DER TOD UND DAS MÄDCHEN – DAS SIND WIR BEIDE – UND ZWEITENS, DASS SIE IHN IMMER NOCH GENAUSO LIEBTE WIE VORHER – UND WENN ER DER TOD WAR – DANN WAR JA ALLES GUT, DANN BRAUCHTE SIE SICH NICHT – WIE IHRE VORFAHREN – UMZUBRINGEN – DENN NACH SEINER METHODE KÖNNTE MAN JA ANDERS AUFERSTEHEN. SOLLTE JA SOGAR UM DAS LEBEN NOCH MEHR ZU LIEBEN – EINMAL GESTORBEN SEIN – SO WAR SIE JA EIGENTLICH DAS LEBENDE MODELL FÜR SEINE THEORIEN UND SIE ERINNERTE

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es gäbe so vieles zu sagen, aber charlotte salomon sagte es mit ihrem umfangreichen werk „LEBEN? ODER THEATER? EIN SINGSPIEL“ so, wie es ihr noch möglich war in der kurzen zeit ihres lebens. 769 exemplare wählte sie aus von 1.325 gouachen, die sie in den jahren 1941 und 1942 schuf (das stelle man sich mal vor).

sie wurde in berlin geboren, floh während der nazizeit zu ihren grosseltern an die französische reviera. viele der frauen aus ihrer familie hatten sich umgebracht. um nicht von diesem traumatischen wissen vereinnahmt zu werden, stürzt sich charlotte salomon in diese ausgeprägte schaffenswut.

sie und ihr kind, sie war im fünften monat schwanger, wurden 1943 in auschwitz umgebracht. ihr werk hatte sie in südfrankreich in verwahrung gegeben. 1961 wurde es zum erstenmal ausgestellt. die d13 hat sie gebührend in szene gesetzt.

WARUM NUR, WARUM…

WARUM NUR, WARUM…

KADER ATTIA
the repair from occident to extra-occidental cultures
„kulturelle rückgewinnung“

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so tief will ich in diese problematik nicht hinein. irgendwie muss ich mich schützen.
die verletzlichkeit des menschen und die von menschen beigebrachten entstellungen, die zerbrochene würde des menschen, wie jeder krieg nur menschenunwürdig ist, so gezeigt und vorgehalten zu bekommen – das muss jemand erst aushalten können.
ich frage einen älteren herren, was es ist, das die männer so mordlüstern sein lässt. er ist verduzt über die frage. er weiss es auch nicht, wendet aber ab, dass es doch auch von frauen geführte kriege gegeben habe. ich sage, dass ich mich da nicht so gut auskenne, erwähne die ägyptische hatschepsut, die kriege vermieden hat. es geht noch ein bisschen hin und her und ich sage noch, dass ich mich da schlau machen werde. wir begegnen noch einige male.

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ein frauenkopf von da vinci mutet versöhnend an, vielleicht soll es das unverletzte zeigen, das weiblich weiche gegen das männlich harte (aber das stimmt so ja nicht). eine junge frau, die hinter dem regal geht, hat fast den gleichen ausdruck.

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ein buch mit einer griechischen kore, die nicht ganz so unversehrt ist, wie da vincis mädchen. nur sind die verletzungen anderen ursprungs, keiner kriegerischen absichten. gefahren in der luft, die auch uns gefährlich werden können

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ich begegne kader attia, dem künstler. er lächelt, wie, um sich zu entschuldigen. aber er ist in einer anderen position. er hat seine arbeit getan und ist zufrieden.

WAS SOLL DAS BEDEUTEN…

WAS SOLL DAS BEDEUTEN…
documentahalle

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(scheinbar) leere wände sind immer besonders reizvoll. tritt eine person in diese leere, beginnt sie zu leben. postiert sich die person für eine weile an einer bestimmten stelle, wird sie zum teil der installation. aus nächster nähe erkundet sie die struktur, das geheimnis. im günstigsten falle hat sie ein eingebung, beginnt zu träumen, hebt ab.

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mein fotoauge sieht´s
würden sie sich für mich noch einmal so hinstellen
ich möchte sie gern fotografieren
na klar

danach sind wir plötzlich zu dritt
fotografieren sie mich auch
und sie mich ebenso
na klar

italienischer fotograf aus kassel
fotograf aus münchen
fotografin aus kassel

und dann entsteht ein spuk und heiteres hin und her
übereifriges erzählen
austauschen von visitenkarten

wir sehen uns

alles ist wichtig auf der dOCUMENTA
nicht nur die projekte
viel mehr noch die begegnungen

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GESPRÄCHE UNTERM GALGEN…

SAM DURANT
anti-denkmal gegen die todesstrafe

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gespräche unterm galgen gehen anders
es regnet ich stelle mich unter
eine frau prüft das holz prüft die ´verbindungen´
ich frage sind sie tischlerin
nein architektin

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wir kommen auf den tischlereibetrieb bode zu sprechen
der u. a. die ´federholz-stühle und -sessel´ designt hat zusammen mit arnold bode
ich erwähne es weil mein ex dort früher einmal gearbeitet hat
und dass ich meine stühle erst vor kurzem auf den sperrmüll gab
und mich heute darüber ärgere

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die fremde frau und ich stehen inzwischen unter einem baum – etwas ´entrückt´
aus der position sieht man die dinge anders
während wir weiterreden über todesstrafe und wie es einem
solchen menschen der weiss dass er gehängt werden soll
in diesem moment gehen mag
taxiere ich intensiv den galgenbau in struktur und form
die einsicht hat sich verändert
da durchfährt es mich und ich teile meine gedanken mit
dass ein mensch so etwas nicht bei vollem bewusstsein
ertragen kann
dass er sich wegbeamen muss sozusagen

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der mittlere stamm weist klar nach oben
verkörpert den weg zur transzendenz
während ich gleichzeitig sehe dass der holzbau
abgesehen von den stahlträgern
schwebt
er schwebt und hat damit die verbindung zur erde
zum irdischen
verloren oder aufgegeben
das opfer ist ihnen sozusagen entkommen

den gedanken des opfers symbolisch sehen
früher waren menschenopfer in verschiedenen kulturen
eine gabe an die götter
opfer ist nicht gleich opfer
und mir wird ganz schwindlig bei den gedanken

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die frau aus d. geht und ich bleibe
vertiefe den symbolgedanken
zwei dreiecke mit der spitze nach oben zeigend
ebenfalls die verbindung zur transzendenz
ein viereck – was erde bedeutet – durchgeixt
also die symbolik himmel und erde doppelt
vorhanden

ich atme durch
ich bin das opfer
für diesen augenblick

ENDLOS UND UNAUFHÖRLICH…

PIERRE HUYGHE
im kompost der karlsaue

wo soll denn hier die kunst sein.
es regnet, es ist matschig, doch dann sehe ich die bienenfrau.
ein satz durch den dreck und zu ihr hin.
der regen hat die bienen nicht verscheucht.
sie haben keinerlei schutz.
sie scheinen widerspenstig und stark und sich ihres tuns bewusst.

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dass das bienensymbol mit klugheit und der göttliche ordnung der welt in verbindung gebracht wurde, gefällt mir besonders.

auf antiken grabmalen sind bienen das symbol für die unsterbliche seele.
bei den griechen wurde die „Große Mutter“ auch als bienenkönigin bezeichnet.
bei den kelten verkörperten sie geheime weisheiten, weil man dachte, sie hätten kontakt zum jenseits und sie könnten botschaften von der einen in die andere welt tragen.

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in diesem erdloch scheint mir die bienenkönigin als der lebendigste punkt, der mittelpunkt sozusagen. sie ist umgeben von heil- wie auch von giftpflanzen. auch die bienen bringen mit ihrem honig heilsame wirkung und gleichsam den giftigen stachel. die brennessel, hüfthoch, als heilpflanze und gleichsam mit ihrem giftigen brennen hat hier einen prächtigen wuchs.

die bedeutung des sowohlalsauch wird sicht- und spürbar. das lebenhervorbringende, wie auch das lebenvernichtende in einem einzigen kreislauf.
es ist endlos und unaufhörlich.
und nicht vergessen:
am johannistag brennnesselpfannkuchen zu essen, um gegen nixen- und elfenzauber gefeit zu sein.

MANGOLD-FÄHRE…

christian philipp müller
(der russe kommt nicht mehr über die fulda)…

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vom technischen hilfswerk sind die pontons angemietet.
christian philipp müller hat mit dem institut für ökologische agrarwirtschaft der universität kassel in witzenhausen, auf ihnen einen mangoldgarten angelegt. 60 verschiedene sorten.
wie viele projekte auf der d13 beschäftigt er sich mit fragen der landwirtschaft, des anbaus und der ernte von nahrungsmitteln. es geht um ökologische kreisläufe.

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die besucherinnen und besucher haben ihren spass, sie überqueren den küchengraben über die pontons, obwohl ein paar meter weiter eine brücke ist. sie zupfen hier und zupfen da – probieren ist erlaubt.
was es mit dem satz – ´der russe kommt nicht mehr über die fulda´ – mit dem mangold gemeinsam hat, ist mir nicht klar geworden. aber frau muss ja nicht alles verstehen…

WIDERSPENSTIG…

SANJA IVEKOVIC
the disobedient (the revolutionaries)

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1933 kassel opernplatz
symbolisches konzentrationslager für widerspenstige staatsbürger
aus: begleitbuch – überarbeitet

was alles im nationalsozialistischen deutschland für abartige handlungen passierten, kann man sich heute kaum vorstelllen, auch wenn man davon hört und liest.
mich hat dieses bild der warnung und abschreckung sehr erschüttert.

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sanja ivekovic
zeigt in einem schaukasten 50 stoffesel, die sie aus privatsammlungen zusammengetragen hat.
jedem tier hat sie einen namen zugestellt von menschen, die widerstand gegen ungerechtigkeit und unterdrückung geleistet haben. die sprichwörtliche sturheit der esel trifft es sicher nicht ganz. um widerstand zu leisten bedarf es einiger wissens- und charaktereigenschaften eines menschen, um diesen leisten zu können.

schon wieder lernen junge menschen gehorsam und angepasstheit, besonders in schulen, nach dem motte „wissen ist macht“, um in eine gesellschaft hineinzuwachsen, die dieses verlangt. strebertum ist angesagt, auch wenn dies eine unsoziale haltung ist, wie auch die macht, die andere ohnmächtig sein lässt. sich störrisch gegen das verlangte zu stellen, ist gefährlich, wenn heute auch in ganz anderer weise.

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DU HAST GEGLAUBT…

DENKSTEINE
horst hoheisel

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neben seinem aschrottbrunnen am kasseler rathaus ( in meinen vorarbeiten zur d 13 erwähnt) ist dieser
denksteine-wagen auf dem ehemaligen deportationsgleis des kasseler hauptbahnhofes (heute kulturbahnhof) abgestellt.

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der kniefall eines fotografen machte mich darauf aufmerksam. auch nicht in seiner absicht sieht er folgerichtig aus. ein kniefall für die ermordeten juden – man sagt juden, es waren kinder dabei. eine 10 jährige aus bayreuth wickelte einen stein für ein mädchen ein, für ilse friedmann, das ebenso jung war wie sie und schrieb dazu: „Ich habe nachgedacht über dich, wie du sein könntest, was du erlebt hast. Ich wohne in der Stadt, in der du geboren wurdest, gehe in die Schule, in die auch du gegangen bist. Du lebtest dein Leben, so wie ich jetzt. ( . . .) Du hast geglaubt. Das will ich jetzt tun.“

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es ist kein d13 projekt, aber so am rande sollte es nicht unbeachtet bleiben.
ganz spontan mache ich einen kniefall…

„So trugen auf seine Anregung (horst hoheisel) hin über 1000 Menschen aus Kassel über 1000 Denk-Steine, jeder für je einen ermordeten Menschen zusammen. Jeder Stein war verschieden, sie trugen eine persönliche Widmung, entweder direkt auf den Stein geschrieben oder auf ein Blatt, das an den Stein geheftet war. Menschen stifteten ihren Stein einem ermordeten Menschen, der in ihrer Straße gewohnt hatte, oder Schülerinnen und Schüler suchten aus den Veröffentlichungen Biographien gleichaltriger Jugendlicher heraus und widmeten ihnen ihren Stein. Auf diese Weise entstand eine Denk-Stein-Sammlung, die seit einigen Jahren am ehemaligen Deportationsgleis des Kasseler Hauptbahnhofes steht. Inzwischen wurden ähnliche Aktionen in anderen Städten durchgeführt, wie etwa Berlin, München oder Bamberg“.

aus:
geschichtswerksatt bayreuth e. v.

FANTASTISCHES MUSEUM…

FIONA HALL
vom aussterben bedroht
in freier wildbahn ausgestorben

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fiona hall hat tiere erschaffen, die als gefährdet gelten und auf der roten liste IUCN stehen. in einem MUSEUM, das die tarnung nach militärart trägt, hängen sie gespentisch an den wänden und fordern uns auf, genau zu schauen. sie sind uns vertraut, wie etwa ein geweih eines sechszehnenders an der wand eines jägers, eines lokals sogar, hier gesprenkelt verfremdet und uns ermahnend. auch der affe getarnt, die vögel, die libellen und insekten und schmetterlinge, ein kondor, ein bär – so flimmernd schön, wie in einem zaubertheater und doch voller ernst uns fragend. kreaturen, die an einem seidenen faden hängen, die fordern, schaut uns an und bedenkt, was ihr mit uns verliert.
dass wir schon längst verkleidet und getarnt umherwandeln und auf einer besonderen liste der gefährdeten stehen, mag die folgerung aus dem werk sein.

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