WAS ZÄHLT IST DAS MENSCHLICHE…

ANNA MARIA MAIOLINO
here & there

karlsaue
278 nr. 107

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das kunstwerk ist eine erschütterung des bewusstseins

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mein gebiet ist die fantasie
ich präsentiere das leben aus den augen meiner wünsche
ohne datum
aus dem nichts
wo alles beginnt

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was zählt ist das menschliche

ruhe!
befahlen sie
die erwachsenen
es war riskant die wahrheit zu sagen

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tagtäglich übe ich mich in der vertraulichkeit der wörter
kombiniere sie
mit der bestrebung gedichte zu erschaffen

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vorsicht mit der gegenwart
als letzten trost
ich bin nicht ich
ich möchte nicht mehr ich sein
fühle mich im gegensatz dazu gesund
ich kann nicht sprechen

ICH BIN ICH

I

anna maria maiolino

UNDENKBAR…

MARIA MARTINS
o impossivel

NEUE GALERIE
162 NR. 110

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man kommt nicht an ihr vorbei, der raum hat drei durchgänge, maria martins. sie ist eine der wenigen künstlerinnen, die bereits gestorben sind und hier gezeigt werden.
ziemlich windige gestalten tauchen da auf, sie scheinen vom durchzug belebt zu werden.
menschliche, tierische und pflanzliche gebilde, so wie sie CCB im gleichklang genannt und beachtet wissen will, der traditionellen mythologie des amazonasgebietes entlehnt.

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o possivel – undenkbar – scheinen mir die beiden menschlichen wesen wirklich zu sein. sie können zusammen nicht kommen, obwohl etwas auch erkennen lässt, dass sie das gerne versuchen möchten.

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das fischskelettähnliche gebilde mit flügeln und füssen scheint entfliehen zu wollen, hebt fast ab, weiss, was es will.
ich bin erinnert an hans arp, der auf der ersten, zweiten und dritten dokumenta zu sehen war, doch den formalismus der damaligen plastiken hat maria martins überwunden.

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es ist eine schöne geste, die werke der maria martins auf der 13. documenta zu zeigen.
aber die zeit ist vorbei. eine schöne erinnerung…

VON ANGESICHT ZU ANGESICHT…

ZANELE MUHOLI
faces and phases

NEUE GALERIE
164 NR. 124

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erst sind da einmal die ernst und fragend mich durchdringend anschauenden gesichter.
da sind auch die frauen, die sich mit grossem interesse dem videobeitrag anschauen und über kopfhörer anhören.
die portraits sind mit einer konsequenz aufgenommen, welche die eindringlichkeit und das durchdringen durch den mir zugewanden blick verstärken und vertiefen. ich blicke zurück, ich blicke, als stünden diese menschen mir gegenüber und ich kann sie doch nicht erreichen. es ist eine distanz zwischen uns und gleichzeitig sind wir uns sehr nahe. ich schaue, ob sich mir über den blick etwas erschliesst und komme wieder – einmal, zweimal, dreimal, komme wieder und schaue erneut, schaue, schaue, schaue…

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ich versuche, mir den begriff des „queeren“ zu erschliessen und lese:
… „Queer“ will allen Formen von Begehren vorurteils- und wertfrei gegenübertreten, seien es Hetero-, Homo- oder Bisexualitäten, seien es Monogamie oder Polyamorie, seien es Kuschelsex, Bondage, Fistfuck oder Asexualität. Wichtig dabei ist allein die Blickrichtung auf Fragen, wie: Wer bestimmt, was wertvolle, gute, richtige Sexualität ist? Wessen Privilegien werden durch eine solche normative Setzung gestärkt? Wer wird von der Norm ausgeschlossen?“

http://paranoidparadise.de

KUNST VORSTELLEN…

ADRIANA LARA
unpurposelywith purpose

neue galerie
s. 158 nr. 96

… denn was man sich unter kunst vorstellt, hängt immer von der betrachterin und ihren ideen ab.

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ein wandgemälde auf einer texturierten oberflächen
es gibt mir nicht wirklich informationen über das, was es will oder soll
will ja auch nicht
soll ja auch nicht
ist ja kunst
oder doch nicht

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Fonlinou in tagbâ
Synthétiseurs lè wé blô pop
Art dé gnon wé dô hô
noùgbo bâ wé
Tagbâ wé wa
Noùdôhlé mé démâtin ä
kpodo noù etin kpô
Noùdîdô si în hô é mâ tin â
Gné dô hô kpèvi bâ wé ô é
non gnôn gbédé â
Noùmatin sin hô noùgbo bâ
wé non in tâgbâ

ich kanns nicht übersetzen
auch google weiss keinen rat
es ist und bleibt geheimnisvoll
und ich mag nicht weiter nachforschen
was die künstlerin ausdrücken will
die bilder müssen genügen

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ich geniesse die installation
die farben und spielereien

kunst kann vieles
aber nicht alles
und ich schon gar nicht…

ZEITVERSCHIEBUNG…

ANRI SALA
clocked perspektive

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über zeit lässt sich immer wieder spekulieren oder auch philosophieren, besonders mit und über die vielen, auf der dOCUMENTA 13 ausgestellten objekte, die auf vergangenes oder kommendes verweisen.
dieses mechanische gerät in gestalt einer uhr, angeregt durch ein von g. ulbricht geschaffenes gemälde aus der sammlung des astronomisch-physikalischen kabinetts in der orangerie, scheint dem schrägen erscheinen zu huldigen, übergross, korrekt in der zeit und doch so verzerrt.

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die zeit, die man bei einem langen gang durch die aue schon mal vergessen kann, wird einem hier wieder in aller deutichkeit vorgeführt. sie holt die vergessene zeit promt auf, appeliert an das gewissen sie ausser acht gelassen zu haben und durch eile wieder einzuholen, mahnt, was noch alles zu tun ist. nur die, die genügend zeit haben, lässt sie vollkommen kalt.
im spiegel der uhr finde ich meine anliegen nicht mehr…

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NICHT ZUM LEICHTEN VERZEHR…

IDA APPLEBROOG
tagebucheintrag 1975

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alles an die wand gepitscht – die allerintimsten eintragungen aus ihrem tagebuch.
erstmal bin ich verwirrt, verunsichert, was das ganze soll.
doch bei genauerem hinsehen tauchen unter diesen dramatischen ereignissen die „stillen momente“ auf. die zusammenhänge sind nicht zu erkennen, obwohl alles zusammenhängt…
herausgenommene fetzen stellen einen bezug her.
YUO ARE THE PATIENT – I AM THE REAL PERSON

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kind mit löckchen und krone
neben alter zähnefletschend
eine andere mit vampirzähnen
kind im unterhöschen
und
pappa wein doch nicht
i caressed it
it shit in

es geht um vergewaltigung
um machtmissbrauch
um falschverstandenes
um falsches vertrauen und missbrauchtes
dargestellte szenen als „narrationsmodus“

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„die geschichten sind nicht als wahrheiten gedacht…“
ida appelbroog überlässt es den betrachterinnen und betrachtern, ob sie für sich eine botschaft erkennen können oder wollen…
manch eine/r geht, das muss ich mir nicht anschaun, andere sitzen fest, wie an einem puzzle.
endloser konsum und endlose gewalt machen ida appelbroog zornig. das macht, dass sie malen muss.

eine grossartige künstlerin, eine mutige dazu, die genau hinschaut.

DIE HOHE KUNST DES NÄHENS…

ISTVÁN CSÁKÁNY
the sewing room

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zuerst eine nähwerkstatt, wie sie ästhetischer und staubfreier nicht sein kann.
kunst in doppelter hinsicht: zum einen die subtil und in mühseliger klein- und feinarbeit gefertigten nachbildungen der maschinen und einer ganzen nähwerkstatt – alles ist genau so, wie es war, als die produktion eingestellt wurde.
in holz gearbeitet strahlen die gerätschaften wärme aus, räumen dieser kühlen, aufgeräumten, menschenleeren atmosphäre etwas wie andacht ein. es ist wie eine verbeugung vor den arbeiterinnen und arbeitern, die einmal an solchen arbeitsplätzen geschafft und geschaffen haben.
zum anderen ist die massarbeit von anzügen hohe kunst, hohe kunst der arbeit. arbeit ist ein teil jeder kunst, ob handwerklich oder gedacht.

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eingefrorene zeit. sie bringt mich in eine zeit, die einmal war. mir fällt ein: SINGER. ich selbst habe auf einer singer-nähmaschine, ähnlich diesen modellen, genäht, meine mutter hat darauf genäht, mein grossvater, den ich nie kennengelernt habe, war schneidermeister.
es fällt mir weiter ein, dass ich mir als vierjährige mit der nähnadel durch meinen zeigefinger stach. meine mutter steckte mir den finger kurzerhand in einen becher mit wasser, das sich sogleich blutrot verfärbte. ich war so stolz auf mein blut und dazu gleich einen ganzen becher voll. vom nähen hat es mich nicht abgehalten.
nach dem krieg war nähen auch eine kunst. meine mutter nähte alles, vom kleid, über unterhosen und stoffschuhen bis hin zur gardine, einfach alles. später tat ich das auch.

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der sewing room ist also ein raum der erinnerungen. er erinnert an vergangene zeiten und den damit verbundenen erlebnissen und ereignissen. schade, dass ich mich nicht einmal an eine der maschinen setzen darf.
es geht auch mal wieder, wie bei so vielen werken darum, dass die verbindungen unterbrochen sind. sie sind durchtrennt, abgerissen. das abgetrennte finden wir in unseren erinnerungen wieder.

ZEITGEBUNDEN ZEITLOS…

WILLIAM KENTRIDGE
the refusal of time

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„widmet sich der entwicklung von verfahren zur normierung der zeit im industriezeitalter des 19. jahrhunderts, als die moderne gesellschaft durch die vernetzung standardisierter uhren gestalt gewann“.

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und so ticken sie und hüpfen sie, nicht nur die zeiger der uhren, sondern auch die menschen, aufgezogen und derzeit auch noch innehaltend, wie das in heutigen zeiten fast nicht mehr geht, wie es heute bei uhren und menschen nur ein “ausgetickt“ gibt, aufgrund neuerer antriebs und umtriebsmittel.
tänzerisch wunderbar in szene gesetzt und umgesetzt, wird hier infrage gestellt, was zeit ist, ob es zeit gibt, wie sie uns zu schauspielerinnen, aber eher noch zu zuschauerinnen macht.
es faszinieren die ideen und einfälle, es fasziniert die vielschichtigkeit und umsichtigkeit. die abläufe an den verschiedenen wänden erregen, man möchte hinterher und alles wahrnehmen, was sich da gleichzeitig abspielt und gezeigt wird.

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das publikum ist wie hypnotisiert. so, wie es war, wie es ist wird es nie wieder. was, bitte, ist dann zeit? und was ist zukunft?
das grösste und interessanteste werk überhaupt auf der documenta 13.

SWING, MENSCH, ACH SWING DOCH…

ZWISCHEN QUAL UND FREUDE…
LLYN FOULKES
malerei ist meine qual, musik meine freude

ich schreibe hier von seiner freude, seiner musik.
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zufällig gerade ich in llyn foulkes live-darbietung.
es swingt und jazzt und jodelt, es ist die reinste freude.
ich kann nicht anders, ich swinge mit.
es ist mir unmöglich ruhig zu stehen.

in jungen jahren war kassel ein jazz-zentrum ersten ranges.
hansi hämer hatte das rosenhang-café,
(später wurde daraus das bolero und nun mundo).
im untergeschoss fanden regelmässige jazzkonzerte statt.
er holte die bekanntesten musiker hierher,
dave brubeck, oscar peterson, klaus doldinger,
gunter hampel, manfred schoof, um nur einige zu nennen.
auch der linke flügel der orangerie wurde bespielt,
noch vor dem rosenhangcafé.

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mit llyn foulkes hätte das rosenhangcafé gewackelt.
jazz, freejazz, das war auch bewegung, war tanz und beifall.
heute sitzen, stehen die leut hier herum, verziehen keine miene,
an bewegen ist gar nicht zu denken, wo es mich reisst und juckt.
ich mache mir meine gedanken, ob emotionen heute durch
das überangebot auf allen ebenen nicht mehr herauszulocken sind.
ich räume ein – es war auch kein platz zu ausschweifendem tanzen.

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llyn foulkes bringt leben in die bude,
lässt die documenta erklingen, das ist das grösste,
er ist der grösste.
von seinen bildern spreche ich ein andermal.

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LASS DICH FALLEN…

LASS DICH FALLEN
joseph beuys

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lass dich fallen
lerne schlangen zu beobachten
pflanze unmögliche gärten
lade jemand gefährlichen zum tee ein
mache kleine zeichen die JA sagen
und verteile sie überall in deinem haus

werde ein freund von freiheit und unsicherheit
freue dich auf träume

weine bei kinofilmen
schaukle so hoch du kannst
mit einer schaukel im mondlicht

pflege verschiedene stimmungen
tue es aus liebe

glaube an zauberei
lache eine menge
bade im mondlicht

träume wilde phantasievolle träume
zeichne auf die wände
lies jeden tag

stell dir vor du wärest verzaubert
kichere mit kindern
höre alten leuten zu
freue dich
tauche ein
sei frei

preise dich selbst
lass die angst fallen
spiele mit allem

unterhalte das kind in dir
du bist unschuldig
baue eine burg aus decken
werde nass
umarme bäume
schreibe liebesbriefe