GANZ FLÜGEL…

J A S M I N -

FÜR J A S M I N
06.06.2011

WENN DER TOD EINE FRAU WÄRE
ellen kort

ich wünschte mir, sie käme mich holen und würde duften nach zimt
ein buntes kattunkleid tragen lila vielleicht knallrosa

ein rotes tuch im haar sie würde
anständigen kaffee mitbringen papayasaft einen strauss seegras

salzgebäck und ein lotterielos wir würden eintauchen
die finger in die feuchten münder des frauenschuhs

uns hinhocken und sehn wie der kohl sich anfasst
wenn wind ihn zaust vorn im garten wir würden wandern

durch die wälder finden das alte haus
die geborstenen fundamente von geisblatt umstrickt

und im vorgarten eine überraschung narzissen
machen die luft gelb leuchten und reifen

blühn noch für eine gärtnerin die längst fort ist
wir würden zum strand laufen muschelschnüre

ums linke fussgelenk und lachen über das klimpern
den gemessenen rhythmus der kommt beim tanzen

auf festgestampftem sand der beifall von meer und möwen
sie würde lieder spielen auf der okarina für den beinah gerundeten mond

und ich würde falsch dazu singen wir würden dahingleiten und herabsausen
konfetti werden von fallendem laub
ganz flügel

treiben auf kleinen wirbelwinden kein einziges mal fürchten
den fall, der das herz zum schweigen bringt und wenn´s
an der zeit wär

würde sie mich nicht baden stattdessen würden wir
die veranda schrubben
das restliche wasser auf blumen kippen lange dastehn

in sonne und stille dann hand in hand
uns aufstellen für ein foto im letzten licht

zum 10. todestag von HANNELORE KOHL…

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zum 10. todestag von hannelore kohl

die haltung, die man einem menschen hoch anrechnet, war bei hannelore kohl in die starre abgerutscht – weit entfernt vom aufrechten gang einer menschenfrau, wie er zu wünschen wäre.
sie trug die perfekteste maske, die ich an einem mir bekannten menschen kenne, und die ist nicht
mit den ereignissen aus ihrer kindheit zu erklären.
ihre eisernen frisuren spiegeln ihren willen und das streben nach perfektion.
mit maske und frisur und immer adrett gekleidet und mit guten manieren ausgestattet, wollte sie ihrem machtmenschen an ihrer seite treu und in gewisser weise damit auch ergeben sein.
den mythos von der lichtallergie haben die ärzte in der zwischenzeit wiederlegt.
dass sie das licht nicht mehr ertragen konnte, (das licht der macht), war reine flucht in die krankheit.

der stern dazu – aus einem gespräch mit heribert schwan
Ist Hannelore Kohl an einer Überempfindlichkeit gegen Licht zugrunde gegangen, wie ihr Mann glauben machen will?
Heribert Schwan zu stern.de:
„Ein klares Nein! Die Dermatologen, die sie damals behandelt haben, haben festgestellt, dass sie nicht an dieser Lichtallergie gelitten hat. Es gab keine Symptome dafür. Die Dermatologen sagen damals wie heute: Lichtallergie ist heilbar. Ich glaube, nicht zuletzt nach meinen Gesprächen mit den Therapeuten, dass sie unter schweren Depressionen litt.“

…Hannelore Kohl als eine extrem einsame Frau, die unter vielen Zwängen leidend über Jahre an diesen zugrunde ging.

der stern
„Und so ist dieser Suizid vielleicht ein emanzipatorischer Akt gewesen; der befreiende Tod einer Frau, die ihr eigenes Leben weitgehend aufgegeben hatte, damit ihr Mann das Seine so gestalten konnte, wie es ihm passte.“

sie war eine dienerin (vor dem herrn), treu bis in den tod, in diesem falle in ihren eigenen.
wo genau der knackpunkt liegt, weshalb sie aus ihren vielen begabungen nicht das eigene machen konnte, wird niemals klargestellt werden können.
im falle einer trennung hätten ihr all diese attribute gereicht, ein eigenes selbständiges leben zu führen. aber da ist der haken, das hat sie nicht getan. strenge und katholische erziehung kann eben wirken bis zuletzt, wenn frau nicht zeitig dagegen wirkt.
dass der sohn ebenfalls die absicht hatte sich umzubringen, lässt ahnen, unter welchen zwängen diese bilderbuchfamilie lebte und litt.

ich mochte hannelore kohl nicht besonders, weil sie so sittsam und steif daher kam. das gerüst um sie her war für mich deutlich sichtbar.
mich interessiert frauenleben und warum es so läuft wie es läuft.
sie war sicher vorbild – gefährliches vorbild, wo es darum ging, eine heile familie vorzugaukeln.
in heilen familien sind sicher mehr frauen verstrickt als vorstellbar, und bilden sich ein, dass das ein erstrebenswertes ziel sei. dabei ist der auslöser für depressionen und selbstmorde am allerhäufigsten in der familie zu suchen.

ich weiss, wovon ich spreche. während meiner ehe (alle dachten, ich führte eine bilderbuchehe, wohlbemerkt) wollte ich immer nur sterben, sterben, sterben – doch ich hatte nicht den mut dazu. meine lage war nicht annähernd die der h. kohl und auch die heftigkeit der zwänge traf nicht zu, aber darauf kommet es wohl nicht an.

WALPURGIS…

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walpurgis

´ Der flieget nie, der heut nicht flog.´
uns gelingt es niemals mehr
zu fliegen so und ringsumher
so lass uns tanzen wie verrückt
damit uns ja kein schuh mehr drückt
reiss ab sie wirf sie weit von dir
genug zu tuen dir und mir
das lachen schallt weit übers land
und das nicht nur im harzerland
hebt eure beine ganz beschwingt
es mannigfache freude bringt
weg den april herbei den mai
damit es endlich sommer sei

frei nach rosadora

BROT UND ROSEN…

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die forderungen clara zetkins sind noch immer nicht erfüllt.
die vielen wiederholungen machen müde, aber nachlassen wäre nicht der richtige weg.
wir können uns brot und rosen kaufen – andere können das noch lange nicht.

viele frauen nutzen die errungenschaften der letzten jahre, ohne sich bewusst zu machen, was ihnen heute alles möglich ist.
was fehlt ist das bewusstmachen dessen, was es bedeutet, als frau bis in alle einzelheiten akzeptiert zu werden.
frauen gegen gewalt heisst das diesjährige motto zum 100sten frauentag.
neben rosen und brot, sinnbildlich gesprochen, findet gewalt auch in der sprache statt. da liegt einiges im argen. wenn die frauen das nicht herausspüren und ihnen der sprachausdruck egal ist, fehlt auch das gespür für viele andere zwischenmenschliche bewegungen. (als frau in der männlichen form angesprochen zu werden).
fernsehen und prommmis sind da leider kein vorbild.
das hinterherhecheln um schönheitsidolen gleich zu sein, ist eine ziemlich unterwürfige art.
ich wills nicht ausdehnen. im argen liegt vieles. es gilt aufmerksam zu sein, um nicht
sogar errungenes wieder zu verlieren…

rosen zum rosenmontag,
lasst uns feiern, lasst uns tanzen,
rosadora

LICHT … für eva strittmatter

EVA STRITTMATTER

licht

manchmal trifft man einen, der ist wie ein licht,
und man trifft ihn nicht zweimal im leben.
und man weiss: nur einmal dieses gesicht.
und man denkt: das darf es nicht geben,
dass man einen menschen verlor,
ehe man ihn gefunden,
und kein danach und kein davor…
dieses licht ist für immer entschwunden.
geheimer speicher erinnerung,
empfangs- und sendezentrale:
in einer anderen dämmerung
verwandelt er signale,
die auf uns gekommen von einem gesicht,
das wir nur einmal gesehen,
zurück in wärme und in licht.
und das hilft uns die nacht überstehen.

eva strittmatter

sie hat diesen ahmet dann zwei jahre
später noch mal getroffen, in mostar.

2010 ist sie gestorben. heute wäre sie 81 jahre alt geworden.

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH und ein hindenken an eine schriftstellerin,
die kein einfaches leben hatte, anschrieb gegen alles, was sie auch sonst noch tun musste – für mann und söhne und haus und hund und garten –
ein frauenleben, das so heute fast nicht mehr zu denken ist.

zu: LETZTE DINGE…

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liebe RosaDora
natürlich darfst du meine mail gebrauchen,
es ist ja eine authentische tagesgeschichte,
ein zusammenfinden meiner erlebnisse des tages
mit deinem mir zugesandten mail/blogg

herzlichst rosmarie
Am 2. Feb 2011 um 23:09 schrieb rosmarie schmid:

liebe RosaDora

heute war ich eingeladen zum geburtstagsfest von Ruth,
jahrgang 1933, einseitig gelähmt, anwesend ihre tochter,
ein schauspielerfreund aus ihrer gemeinsamen schulzeit,
ruth war bis zu ihrer erkrankung malerin und lyrikerin,
wir lasen von ihren gedichten, hörten chinesische musik,

auf einmal hatte ruth arge schmerzen in/auf der brust,
müssen wir den arzt rufen? das gesicht erbleichte zu weiss,
langsam ging es ihr besser, „bleib doch noch ein wenig bei uns“,
sprach die tochter, und wir wiederholten den satz wie im chor.

ich brachte auch ein gedicht mit, weil ruth in gesunden tagen
täglich in den wald ging (erste strophe)
und jetzt im pflegehaus vom bett an einen einzigen baum
schauen kann (zweite strophe)

friederieke mayröcker

was brauchst du

was brauchst du? einen baum ein Haus zu
ermessen wie gross wie klein das leben als mensch
wie gross wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger schönheit
wie gross wie klein bedenkst du wie kurz
dein leben vergleichst du es mit dem leben der bäume

du brauchst einen baum du brauchst ein haus
keines für dich allein nur einen winkel ein dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den freund, die freundin
die gestirne das gras die blume den himmel

dann kam ich nach hause, hatte hunger nach vielem
auch noch nach dem essen, hunger nach was?
ich habe lange gelesen in deinen Texten,
habe lange deine bildwelten angeschaut,
und siehe, meine vielmundigkeit ergab ein ganzes
mit dem namen: LETZTE DINGE

ich danke dir innig
rosmarie

LETZTE DINGE…

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letzte dinge

dieser tage habe ich zu einem büchlein gegriffen, das zwei gespräche von zwei schriftstellerinnen der generation meiner mutter enthält und die ich mit ihr so nicht führen konnte –
ILSE AICHINGER, 1921, und
FRIEDERIKE MAYRÖCKER, 1924.
es sind gespräche über den tod. eingekleidet in zahlreiche assemblagen von daniel spoerri, 1930, und somit der jüngste von den dreien.
dass sich ein roter faden spinnt von einer bekannten, johanna f., 1924, die in ihren jungen jahren in paris kunst studierte und dort daniel spoerri traf und eine liebe mit ihm hatte, hin zu den beiden schriftstellerinnen, wusste ich bisher nicht.
johanna erzählte mir von ihrer liebe zu daniel spoerri, als vor jahren im schloss der insel mainau bei einer ausstellung werke von daniel spoerri zu sehen waren.
nun ist er mir bekannter als die beiden frauen.

in dem büchlein, das es verdient hätte ein buch zu sein, vom format aus betrachtet, ist mir die zartheit der dinge dieses grossen, starken mannes sehr ans herz gegangen und sind ein gegensatz zu seinen sonst eher grossen und massiven objekte.
es scheint auch einen roten faden zu geben zwischen den werken der künstlerinnen und künstlern jener zeit – so denke ich dabei an eva aepplii, 1925. daniel spoerri war auch mit ihr befreundet. bei ihr sah ich im tinguely museum in basel diese „zarten dinge“.
eher läge mir daran, von der zartheit in groben dingen zu reflektieren, als über das büchlein LETZTE DINGE, die sich alles andere als zart erweisen.

ilse aichinger, die sich nach dem tod sehnt, ihn als „zerbrecher und zerstörer“ sieht, hält ihre existenz für völlig unnötig.
…“ich habe es schon als kind als eine absurde zumutung empfunden, dass man plötzlich vorhanden ist. da müsste man zumindest gefragt werden, ob man nicht einfach wegbleiben will. dann wäre ich weggeblieben.“
es wäre interessant zu wissen, wie sich die menschen entscheiden würden, wäre ihnen diese frage gestellt worden.
ilse aichinger rennt bis zu viermal am tag ins kino, „um meine zeit tot zu schlagen, weil es mir schon viel zu lange dauert.“
wenigen dauert es schon viel zu lange, eher wollen sie hundert und noch älter werden aus angst vor dem tod und weil sie nicht wissen, was dann kommt. niemand weiss, was dann kommt, das ist gut und gibt immer von neuem zu spekulationen anlass.

friederike mayröcker bezeichnet den tod als ihren feind und kann ihn überhaupt nicht akzeptieren. mit 80 oder 90 „abtreten“ zu müssen, scheint ihr als grosse beleidigung im vergleich zu tieren, riesenschildkröten z. b. und auch bäume, die über 500 jahre alt werden können.
der tod ist
ekelhaft,
ein eklat,
ein skandalon,
eine frivolität,
eine schmach,
eine verdammung und
eine herabsetzung des menschlichen lebens.
sie hat angst vor dem tod, vor dem zustand des „gestorben-seins“.
mit der sprache kann sie sich gegen den tod sträuben.
„aber nur für die zeit, in der ich schreibe. die angst kommt immer wieder.
es ist eine metamorphose der angst vor dem tod.“
sie will nicht plötzlich sterben, will sich mit dem tod auseinandersetzen können.
200 jahre lebenszeit schweben ihr vor, aber besser noch „müsste man so lange weiterleben können“, bis man sagt, „jetzt habe ich genug. jetzt möchte ich abtreten.“

mich haben die gespräche sehr nachdenklich gestimmt. ich habe mir kein sehr starkes bild von den beiden künstlerinnen gemacht anhand ihrer texte. doch das bild trifft nicht – das bild künstlerin oder frau triften weit auseinander.
mehr als die gespräche haben mich die „kleinen zartheiten“ daniel spoerris berührt.
immer berührt mich ein bild mehr als ein wort…

DIE SCHRULLIGE ALTE…

DIE SCHRULLIGE ALTE
rosadora g. trümper tuschick

niemand, der sie gesehen hatte, würde sie je wieder vergessen können.
ihre augen waren wie blitze.
sie schaute sich um, sie schaute umher, doch vor allem schaute sie den menschen ins gesicht.
trafen sich ihre blicke, knisterte es geheimnisvoll.
leicht irritiert waren sie dann.
sie wendeten ihren kopf und hechelten nach einer wiederholung des geschehenen.
wenn sie sich trauten, die alte anzusprechen, war der bann gebrochen.
dann verspann die alte sie in ein gespräch.
die menschen redeten banales zeug, so wie man das tut, wenn man eine nicht kennt.
doch schnell wendete die alte das gespräch.
und stets waren es dann die gedanken der alten, die sie fesselten und inspirierten.
begeistert waren sie, wenn sie mit blitzenden augen ihre worte dar brachte.
begeistert auch, zwar etwas irritiert, wenn sie sich wie zu leichter musik zu drehen begann.
es war, als wirbele sie sich in ihr altes leben hinein, als hole sie erlebtes für die menschen hervor, um sie daran teilhaben zu lassen.

sie wickelte sich ein in ihre weiten, farbenfrohen kleider und tücher.
sie verwandelte sich mit ihrem riesigen schlapphut ganz in diese alte weise, die man aus mythen und märchen kennt.
sie flocht die menschen mit hinein in ihre geschichten.
ein kleines mädchen mit blonden haaren schlüpfte ihr unter den mantel.
und hinein und hinaus und hinein, wie ein kleines vögelchen flog es, das den geschichten leichtigkeit und lächelnden beifall schenkte.
es hatte das spiel begriffen, während die erwachsenen unsicher blickten, woher denn dieses vögelchen gekommen war.
es war einfach da und so schnell wie es angeflogen kam, war es auch wieder weg.

voller tiefe und einsicht waren die geschichten der alten.
so leicht beschwingt konnten die menschen ihr in ihren gedanken folgen.
sie liebten sie, auch wenn sie hinter vorgehaltener hand fragten, kennst du die schrullige alte mit ihrem schlapphut?

ZUM 93. GEBURTSTAG…

ANNAELISABETH_350

einmal noch…
mit dir im garten sitzen
unterm sonnenschirm
kaffe trinken und reden
und singen ja singen
bis unsere stimmen quietschen
und ins lachen fallen
dich sagen hören
es ist wie im paradies
als wärest du
angekommen dort
wo du immer sein wolltest

irgendwann
nanntest du mich
mein rosadorchen
und nicht mehr
mein kindchen
da wusste ich
dass du in deiner wahrnehmung
einen grossen sprung
gewagt hattest

schwesterlich verbunden bist du
noch immer
in meinem leben
annaelisabeth