KURVEN AUF DEM EIS…

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endlich zugefroren der teich. kinder und erwachsene lockt es gleichermassen, ob mit oder ohne schlittschuhe. es sind eher stehkonvents auf dem eis, als flitzende eisläufer und eisläuferinnen. wer konnte auch ahnen, dass der vorausgesagte ‚milde winter’ ein eiskalter würde. und ausserdem, bei den wenigen gelegenheiten, die es hier gibt, wer hat da schon übung im schlittschuhlaufen. ich meinerseits habe meine schon vor jahren verschenkt und nun werde ich mir für ein paar eiskurven auch keine mehr zulegen.
die sonne lockt die menschen heraus, lachende gesichter, und das mädchen, das vielleicht das erste mal auf dem eis ist, ruft: mama, guck mal, was ich kann und landet einen ‚bauchplätscher’ aufs eis.

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als ich kind war, borgte ich mir schlittschuhe, die waren zum anschrauben und wurden zusätzlich mit seil um den fuss festgebunden. eiswiesen waren es. da konnten wir nicht einbrechen und wir stürzten mehr als dass wir gleiteten, und wir fielen hin und standen auf, standen auf und fielen hin und keine mami da, die uns gelobt oder aufgehoben hätte. wir brauchten uns auch nicht zu beweisen. wir hatten einfach nur spass.
heute ist es eisekalt, aber die luft ist wunderbar klar. ich atme tief durch, und ich muss wiedermal an den satz denken – in wilhelmshöhe ist jeder atemzug einen taler wert.

EIN NEUES BUCH…

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ein neues buch, ein neues jahr
was werden die tage bringen?
wird’s werden, wie es immer war,
halb scheitern, halb gelingen?
ich möchte leben, bis all dies glüh’n
rückläßt einen leuchtenden funken,
und nicht vergeht, wie die flamm‘ im kamin,
die eben zu asche gesunken.

Theodor Fontane

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‚ich möchte leben, bis all dies glüh’n
rückläßt einen leuchtenden funken…’

wie schön ausgedrückt, wie gross das hoffen ins leben. doch zuerst bedarf es des GLÜHENS. manchmal ein bisschen zu wenig, manchmals etwas zu viel. aber hauptsache ist, dass es diesen funken in uns gibt, diesen funken zum leben, der es leuchten lässt und warm macht und hell und die menschen in unserer nähe erwärmt und sie gern um uns sein lässt.

wieder ein jahr – in unserem alter ist das ganz anders empfunden als in jungen jahren, in denen ein enden nicht mitgedacht ist. ‚halb scheitern – halb gelingen’ – so war es und wird es sein. die hoffnung auf ein ‚müheloses’ liegt nicht (mehr) drin. die schmerzen, die pein – von ihnen setzt sich das schöne und gute erst ab. vielleicht nicht mehr gierig sein aufs leben, aber neugierig bleiben, um dem ‚kleinen glück’ zu begegnen, das in jedem tag liegt, etwas träumen, damit das geschehen kann. rose ausländer sagt: ‚der traum hat offene augen’, also, mit etwas zugekniffenen augen dem sehen eine andere dimension entlocken. so ist das grosse nicht mehr zu gross und das kleine nicht zu klein, das schauen relativieren und das hinschauen nicht lassen.

dem NEUEN JAHR eine chance geben und uns. es nicht vorausahnen, denn, so sagte die alte seherin kassandra, ‚das, was wir befürchten, tritt bestimmt ein’. einen freien raum entfalten, in den so manches hinein passt. die möglichkeit der wahl haben wir ja öfter als wir meinen. also, wählen wir.

der letzte tag im alten jahr präsentiert sich aufs vorzüglichste. das wetter beeinflusst unsere stimmung ja nicht unerheblich. so stellen wir es heute an erste stelle. und in dem falle einer wetterverschlechterung nehmen wir etwas anderes aus der vielfalt unseres seins, das uns hochhält, froh sein lässt, heiter auch und dem leben zugeneigt.

das ist es, was ich gerade so denke. morgen wird es etwas anderes sein.

rosadora

WEITE B R Ü C K E N …

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HOHE NACHT DER KLAREN STERNE,
DIE WIE WEITE BRÜCKEN STEH’N
ÜBER EINER WEITEN FERNE
D’RÜBER UNS’RE HERZEN GEH’N

unseren herzen ist die weihnacht am nächsten von allen anderen christlichen festen, auch dann, wenn wir die christliche tradition nicht leben, bedeutet sie uns etwas.

es ist ‚das geborenwerden’, es ist das sich erneuende leben, das uns die zuversicht schenkt, wieder und immer wieder, die zuversicht, dass auch wir neu beginnen können in allem. startblöcke werden uns geschenkt, die uns signalisieren, nun mach mal, es ist (noch) nicht zu spät. das leben immer wieder neu beginnen, es neu sehen, neu gestalten – alles neu, einfach neu. den mut haben, eigene wege zu gehen, manchmal erst spät, nicht ausgetretenen pfaden hinterherwackeln, sonder da gehen, wo noch kein weg ist – meinen eigenen weg finden und eine spur legen.

ich übe das gern im wald, wo ich kreuz und quer laufe und mir damit ein bild mache, wie das in mir drinnen aussehen könnte mit dem eigenen weg. das ist eine schöne und gute erfahrung, immer wieder. und wenn es raschelt und kracht, was mir viel freude bereitet, weiss ich, dass es auch in mir ‚rascheln und krachen’ muss, um einen eigenen weg zu legen.

viele brücken brauchen wir, über die unsere herzen sich wagen zu gehen. unsere herzen wissen um die brücken…

ich nehme die erste strophe des liedes von hans baumann, das ein nationalsozialistisches weihnachtslied war. hier klingt es noch ohne absicht und äussert sich in wunderschönen bildern.

ÜBER DIE SCHWELLE DER DUNKELHEIT GEHEN – INS LICHT…

WINTERSONNENWENDE

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heute ist ein besonderer tag. ohne es im bewusstsein zu haben, so früh am morgen, treibt es mich aus dem bett. erst als ich wach und wacher werde, erinnere ich das datum – 21. dezember – wintersonnenwende.

bis zum 24. dezember, in der nacht, ins der das licht aus der tiefe geboren wird, ist eine grosse stille. nichts regt sich, nichts bewegt sich, nur die natur bereitet sich vor, in der tiefe geschieht die verwandlung. das lebensrad dreht sich, das rad, das niemals stillesteht. wenn auch das symbol des runden in unserem kleinen hirn den anschein gibt, als würden wir uns im kreise drehn, ist dieser lebenskreis doch so gross, dass selbst die grösste von uns zurückgelegte strecke als gerade erscheint. unendlich gross und uns unvorstellbar ist dieses grosse runde, und auch nicht zu erfassen das kleinste runde, das viel kleiner noch ist als ein atom und aus dem alle dinge bestehen. ein lebendiger organismus und voller energie, von der wir leben, in der wir sind.

geschafft! diesen zeitenberg zu erklimmen kommt einem wirklichen bergaufstieg sehr nahe.

an dieser schwelle vom dunkel ins licht geben wir alles ab, geben es zurück in den weltenkessel, geben es hin zu der ‚alten der zeit’, die auch ‚die funkelnde’ genannte wird, die es neu mischt.
in dem moment, am 24. dezember, wo sich das licht zeigt, wo die dunkelheit es neu gebiert, dürfen wir der weisen alten beim rühren helfen und ihren tanz tanzen und ein bisschen erfahren von ihrem geheimnis, das sie nie ganz preis gibt. wir bedienen uns der bilder der mythen, weil das ganze so unvorstellbar für uns ist.

die angesagte ruhe ist auch verdiente ruhe – und dass wir sie einhielten.
in den kommenden tagen der rauhnächte nehmen wir den ‚tanz des lebens’ langsam, ganz langsam wieder auf.

vor dem tanz die ruhe…

dies ist nicht blüte
nicht frucht
dies ist nicht frühling
nicht sommer
nicht herbst
dies ist nur der winter
mit seiner innigsten
grössten wärme
der hoffnung

ICH LIEBE MEIN BILD…

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etwas ergibt ein bild. ich erkenne es als solches. es entstand aus einer zerstörung. etwas, was war, ergibt etwas neues, ein neues bild.
auf den ersten blick erkenne ich eine menschliche gestalt, eine weibliche. die gestalt befindet sich auf einem grabstein. er ist vielleicht zersprungen. die gefangene und eingesperrte seele sucht nach befreiung, will heraus – zu mir – in die welt – zu den lebenden. dass es lebenshunger ist, glaube ich nicht. sie hat noch etwas zu klären, will einem geliebten menschen beistehen, das leben zu ertragen.

mit jedem neuen bild, das ich finde, finde ich auch eine geschichte. das foto ist nun nicht nur foto. es ist ein bild in einer geschichte, in meiner geschichte. die geschichte bereichert es und es beginnt zu leben. es liegt nicht, hin und wieder betrachtet, in einer kiste, sondern geht zu den menschen mit seiner geschichte.
ich liebe mein bild und danke ihm für seine offenheit.

G I N K G O ein lebendig wesen…

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ist es ein lebendig wesen,
das sich in sich selbst getrennt?
sind es zwei, die sich erlesen,
dass man sie als eines kennt?

joh. w. goethe

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im alten china waren die ginkgoblätter und –nüsse
lange zeit das zahlungsmittel.
das sollte man doch wieder einführen und die banken und die zinsen und den ärger damit abschaffen…

s. ginkgo museum weimar

AUS ALLEN STERNEN IN DIE EINSAMKEIT…

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er ist ein schmeichler – der herbst. und nicht nur er – auch r. m. rilke malt mit worten schmeichelhafte bilder, die an die ewigkeit reichen (um in seinen bildern zu bleiben).

die ‚fernen gärten in den himmeln’ laden ein zum ausruhen. ich möchte für immer darin bleiben, mich zu den blättern legen, mich betten, zum letzten.

doch die erde ist schwer, sie fällt, sie fällt – und das nicht nur bei nacht. es ist tröstlich zu denken, dass sie es nur bei nacht tut. die gärten entfernen sich immer mehr, auch meine vorstellungen, auch ich. und die blätter – sie fallen und fallen.
und die einsamkeit wird grösser… Continue reading

ES FÄLLT NICHTS HERAUS…

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es gibt nicht totes, es sei denn, du tötest es…
was du ablegst ins nichts, ist für dich tot – nur für dich.

die blätter fallen, aber sie sind nicht tot.
in ihren bunten farben sind sie lebendiger denn je.
in ihrem scheinbaren zerfall gehören sie für eine weile der erde an,
werden verwandelt, halten inne, brechen erneut hervor.
der kreislauf ist geschlossen, war immer geschlossen.
es fällt nichts heraus aus dieser welt. Continue reading

WAS IST DAS LEBEN…

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das leben ist eine mohrrübe – weiter nichts, antwortete anton tschechov auf die frage von olga, was das leben sei.
wenn ein schriftsteller und arzt diese frage nicht beantworten kann, wieso sollte ich mir dann den kopf zerbrechen und formulierungen finden, die alle nicht stimmen.

wenn ich es trotzdem versuche, kommt so etwas heraus wie: das leben ist das, was du daraus machst – oder, das leben ist alles und nichts – das leben ist verheissungsvoll und nichtig, jenachdem – das leben, um im bilde von tschechov zu bleiben, ist eine gurke.

manchmal ist es wie eine grosse pfütze – du spiegelst dich darin, du springst darüber oder fällst hinein. du musst auf sie aufpassen, damit sie nicht austrocknet und verschwindet. ebenso wird es sich mit der welt und dem leben verhalten, eines tages ist es einfach verschwunden…

BLATTMEDITATION AM MORGEN…

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lege oder setze dich unter einen laubbaum. suche dir zwei schöne blätter aus und bedecke damit deine stirn oder deine augen. lasse bilder entstehen, wie das kleine blatt, noch ganz knospe, heraus will an die sonne, an den wind, den regen trinken möchte und erfahren, was tag ist und was nacht, wieviel zeit es draussen verbringen wird in einem jahr, ehe es sich wieder ins innen zurückzieht.
sei du selbst ganz blatt und schnuppere den duft, den es verströmt und präge dir ein, wie eine birkenblatt riecht oder das eines ahorns.
nimm diese gefühle in dich hinein und trage sie mit nachhause, damit du noch eine weile davon zehren kannst. Continue reading